Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Die Vereinigten Niederlande. 531 
eine bindende Zusage für die Einverleibung Sachsens gäbe. Aber dieser 
Gedanke kam gar nicht zur Sprache, da das preußische Cabinet selber 
durchaus beherrscht war von jener Gleichgewichtspolitik, worauf Englands 
niederländische Pläne fußten. In allen Entwürfen Hardenberg's wurde 
als selbstverständlich vorausgesetzt, daß die Schweiz und die Niederlande 
in der Regel den Frieden zwischen Deutschland und Frankreich behüten, 
im Falle des Krieges den ersten Anprall der französischen Angreifer aus— 
halten müßten; erst in zweiter Linie sollten Oesterreich und Preußen den 
Kampf aufnehmen. Die Vergrößerung der Niederlande schien um so mehr 
im deutschen Interesse zu liegen, da Hardenberg noch zuversichtlich hoffte, 
Holland und die Schweiz durch ein föderatives Band — als „Bundes- 
verwandte“, wie man zu sagen pflegte — mit Deutschland zu verketten. 
Zudem ward der den Hohenzollern so nahe verwandte Prinz von Oranien 
bei Hofe fast wie ein Mitglied des königlichen Hauses angesehen, obgleich 
die Offiziere ihm die schimpfliche Capitulation von Erfurt nicht verziehen. 
Er hatte wegen seiner Theilnahme am Kriege von 1806 Land und Leute 
verloren; es schien Ehrenpflicht ihn reichlich zu belohnen. Daher ging 
Hardenberg kaum minder lebhaft als die englischen Staatsmänner für 
die oranische Sache in's Zeug; er umarmte unter Freudenthränen den 
niederländischen Gesandten Gagern, als die Nachricht von der Eroberung 
Hollands kam. Die Bildung dieses Zwischenstaates erschien in den Augen 
der europäischen Höfe als ein Erfolg der preußischen Politik, keineswegs 
als ein Rechtstitel, kraft dessen Preußen neue Forderungen stellen durfte. 
Hier liegt ohne Zweifel der zweite große Fehler der Politik Harden— 
berg's; doch diese niederländischen Träume sind, wie jene Pläne des deut— 
schen Dualismus, die Schuld nicht eines Mannes, sondern des gesammten 
Zeitalters. Lange bevor man auf die Eroberung des linken Rheinufers 
zu hoffen wagte, hatte Stein schon den verstärkten niederländischen Staat 
als eine europäische Nothwendigkeit gefordert, und Jedermann stimmte bei. 
Nachher, da die Ländergier des Oraniers sich allzu dreist herauswagte, 
sind wohl Manchem Zweifel aufgestiegen. Der Rheinische Mercur be— 
klagte, daß „der am wenigsten kriegerische deutsche Stamm“ mit der Grenz- 
hut betraut werden solle, und selbst Castlereagh fragte in seinen Briefen 
einmal bedenklich, ob dies Handelsvolk seiner europäischen Aufgabe genügen 
könne. Ludwig Vincke, der von seiner theueren rothen Erde aus die 
niederländischen Dinge lange beobachtet, sagte voraus, dies willkürlich aus- 
geklügelte Staatsgebilde müsse untergehen; in den Niederlanden selbst er- 
wachte sofort wieder der alte Groll, der die katholischen Belgier und die 
protestantischen Holländer seit einem Vierteljahrtausend getrennt hielt. Die 
deutsche Diplomatie aber blieb von solchen Bedenken unberührt. Harden- 
berg brachte der englischen Politik ein unbeschränktes Vertrauen entgegen. 
Nach der Einnahme von Antwerpen genehmigte er sofort, daß die dort 
im Hafen von den Preußen und Russen erbeuteten Kriegsschiffe nach 
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