Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

590 I. 5. Ende der Kriegszeit. 
des Naturzustandes durch die Beweisgründe der historischen Staats= und 
Rechtslehre, deren Anschauungen bereits anfingen zu einem Gemeingute 
der bestgebildeten Deutschen zu werden. Sie erwies siegreich die unzer- 
störbare, segensreiche Nothwendigkeit des Krieges, der die Völker für den 
Frieden erziehe, und stellte dem neuen Jahrhundert die Aufgabe, „die 
Heere zu nationalisiren und die Völker zu militarisiren.“ Jeder Tropfen 
Blutes in einem freien Staate müsse mit dem Eisen des Krieges versetzt 
sein; das Heer dürfe nicht als die Waffe des Staates begriffen werden, 
als ein todtes Werkzeug, das man zur Zeit der Noth aus dem Winkel 
hervorhole, sondern als der bewaffnete Arm des Staates, als ein mit 
seinem eigenen Leben eng verbundenes lebendiges Glied des Gemeinwesens. 
Alle Institutionen des Staates, alle Wissenschaft und Gesinnung sollen 
kriegerisch und friedlich zugleich sein; nur dann bleiben die erhaltenden 
sittlichen Kräfte des Volkslebens lebendig, Muth, Gehorsam und Ehrge- 
fühl. Während das gesammte Ausland und selbst preußische Staats- 
männer, wie W. von Humboldt, das alte Märchen von dem künstlichen 
Staate Preußen noch immer wiederholten, sprach dieser tapfere Soldat zu- 
versichtlich aus: dies bewaffnete preußische Volk bewahre in der anstecken- 
den Umgebung zerfließender und vertrockneter Kleinstaaten allein das 
Gefühl des Vaterlandes und den stolzen Entschluß ein ganzes und “leben- 
diges Volk bleiben zu wollen. — So gingen Scharnhorst's Saaten auf. 
Die gereifte Gesittung führte die Deutschen wieder zurück zu einer mann- 
haften Auffassung des Lebens, zur richtigen Werthschätzung der rüstigen 
Willenskraft einfacher Menschheit. 
Auch in den Massen des preußischen Volkes hatten sich die Mei- 
nungen über das Heerwesen von Grund aus verändert. Der einst so ge- 
fürchtete blaue Rock war jetzt ein Ehrenkleid, und den Meisten leuchtete 
ein, daß weder Geburt noch Reichthum von der schwersten der allgemeinen 
Bürgerpflichten befreien dürfe. In den Kreisen der Patrioten sprach man 
geringschätzig von der waffenscheuen alten Zeit. Rückert sang spöttisch: 
Es galt die alte Regel: 
Soldat in's Feu'r hinein! 
Der Bauer mit dem Flegel 
Sieht zu und läßt es sein. 
Das Bild freilich, das sich die öffentliche Meinung von der Kriegs- 
verfassung der Zukunft entwarf, hatte mit Scharnhorst's Ideen wenig 
gemein. Schon während des Krieges entstand in den Massen eine Fülle 
von Sagen über die Ereignisse des wunderbaren Jahres. Die Landwehr 
wurde, wie natürlich, der Liebling des Volkes; denn ganz war die alte 
Abneigung gegen die Berufsoffiziere doch nicht verflogen. Man wußte 
tausend Geschichten von der Angst der Franzosen vor dem peuple sauvage 
des Landweres, und bald schien es, als ob diese Kerntruppe eigentlich 
Alles gethan und die Linie nur ein werthloses Anhängsel gebildet hätte.
	        
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