668 II. 1. Der Wiener Congreß.
stand bereits fest; die Abtretung von Ostfriesland dagegen hatte der König
standhaft zurückgewiesen, und seitdem war das treue Völkchen seinem
Herzen nur noch theurer geworden. Gleichwohl liefen beunruhigende Ge—
rüchte durch's Land; die Abtretung an die Welfen, so hieß es, stehe doch
noch bevor. Schwer besorgt schrieb der Oberpräsident Vincke an den
Staatskanzler: nimmermehr dürfe man dies Kernvolk aufopfern, ein Ost—
friese sei mehr werth als zwanzig halbfranzösische Rheinländer; auch biete
der Besitz der Ems den einzigen freien Zugang zur Nordsee, das einzige
Mittel den Rheinzöllen der Holländer entgegenzuwirken.
Da gab der Streit um Vorpommern den welfischen Diplomaten eine
bequeme Handhabe um den in Reichenbach gescheiterten Versuch zu er—
neuern. Der Staatskanzler verlangte jetzt von den Welfen Lauenburg,
und da er außerdem noch die vertragsmäßige Vergrößerung für Hannover
beschaffen mußte, so ersah Münster rasch seinen Vortheil und forderte als
Ersatz: Ostfriesland und jenen „Isthmus“ des Göttinger Landes, der
nach Hardenberg's Plänen die östlichen Provinzen Preußens mit dem
Westen verbinden sollte. Die letztere Forderung ließ sich nicht abweisen,
sie ist jedoch in Berlin als ein offenbarer Beweis bösen Willens den
Welfen lange nachgetragen worden; denn war man in Hannover ehrlich
gesonnen mit Preußen gute Freundschaft zu halten, so konnte die Um—
klammerung durch Preußen dem Welfenhofe nicht bedrohlich erscheinen.
Noch tiefer verletzte den König die Zumuthung wegen Ostfriesland; keine
der vielen Enttäuschungen dieser traurigen Zeit hat ihn so schmerzlich be—
rührt. Viele Monate hindurch, bis in den März hinein, widersprach er
heharrlich; wie oft hat er Knesebeck deshalb zu dem Staatskanzler gesendet,
was immer ein untrügliches Zeichen der Verstimmung war. Die Welfen
aber bestanden auf ihrem Scheine. Nicht als ob sie die handelspolitische
Bedeutung der Emsmündung irgend gewürdigt hätten; die herrlichen
Ströme Niedersachsens waren in den Augen des welfischen Adelsregiments
lediglich dazu bestimmt mit ergiebigen Zöllen belastet zu werden. Aber
Ostfriesland grenzte an Holland, und eine ununterbrochen zusammen—
hängende welfisch-oranische Nordwestmacht galt in London und Hannover
wie im Haag als nothwendig, um dem preußischen Nachbarn das Gleich-
gewicht zu halten. Deshalb verharrte Münster bei seiner Forderung,
und König Friedrich Wilhelm stand schließlich vor der Frage: ob Vor-
pommern für Preußen wichtiger sei oder Ostfriesland? Hardenberg stimmte
unbedenklich für Pommern; denn da die Landgrenze im Osten durch den
Verlust von Warschau sich so ungünstig gestaltete, so war es für Preußen
unerläßlich, mindestens auf der Seeseite sich zu decken und die Herrschaft
über die Odermündungen ganz in seine Hand zu bringen; Ostfriesland
aber, so wichtig es war, bildete doch nur einen Außenposten mehr.
Noch schwerer wog in Hardenberg's Augen eine Erwägung der na-
tionalen Politik: der lange Kampf um die Befreiung Pommerns durfte