Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

672 II. 1. Der Wiener Congreß. 
Hardenberg schwach genug auf diese unverschämte Zumuthung einzugehen; 
so erhielt Deutschland jene Nordwestgrenze, die auf der Karte Europas 
ihres Gleichen nicht findet. 
Schon in den nächsten Monaten sollte Preußen die Dankbarkeit der 
holländischen Kaufmannspolitik kennen lernen. Die Oranier zeigten sich 
unter allen Nachbarn Preußens am gehässigsten und händelsüchtigsten. 
Gegen Sinn und Wortlaut der Wiener Verträge wurden sofort jene 
schändlichen Rheinzölle wieder eingerichtet, wodurch die niederländische 
Republik einst ihre deutschen Hinterlande mißhandelt hatte. Da die stati— 
stischen Hilfsmittel jener Zeit sehr mangelhaft waren und Hasselt's geo— 
graphisches Handbuch den Diplomaten als letzte Weisheitsquelle diente, so 
liefen bei allen Gebietsverträgen des Congresses einzelne kleine Irrthümer 
mit unter, die bei einigem Anstandsgefühle der betheiligten Staaten nach— 
träglich leicht berichtigt werden konnten. Durch ein solches Versehen geschah 
es auch, daß die beiden preußischen Straßen von Aachen nach Eupen und 
Geilenkirchen auf zwei kurzen Strecken niederländisches Gebiet berührten; 
augenblicklich errichteten die Oranier dort ihre Douanen, unterwarfen den 
preußischen Binnenhandel ihren Zöllen. Als endlich eine gemischte Com— 
mission zusammentrat um die Grenze endgiltig festzustellen, da stritten 
die Holländer um jede Seele, jeden Baum und jeden Zoll Landes.“) 
Ueber die Galmeigruben von Altenberg konnte man sich schlechterdings 
nicht einigen; dies berüchtigte „neutrale Gebiet“ an der belgisch-preußi— 
schen Grenze erinnert noch heutigen Tags an die freundnachbarliche 
Gesinnung der Niederländer. Solche gehäufte Proben oranischer Dank- 
barkeit und vornehmlich die empörende Bedrückung der Rheinschifffahrt 
ließen das Wohlwollen des Berliner Cabinets für den Haager Hof bald 
erkalten. 
Ein anderer der kleinen Gegner Preußens, Baiern, hatte seine thörichte 
Feindseligkeit bitter zu bereuen. Wenn irgend ein deutsches Fürstenhaus 
durch sein dynastisches Interesse auf Preußens Freundschaft angewiesen 
war, so doch sicherlich das durch die Hohenzollern so oft gerettete Haus 
Wittelsbach. Preußens Staatsmänner waren auch im Jahre 1814, ob- 
gleich sie ein wohlbegründetes Mißtrauen gegen Montgelas hegten, dem 
bairischen Staate keineswegs feindselig gesinnt. Das feste Mainz wollten 
sie freilich diesen unzuverlässigen Händen nicht anvertrauen; doch war 
Hardenberg in Paris geneigt, die badische und die linksrheinische Pfalz 
an Baiern zu geben, und noch in Wien rieth Humboldt, die Baiern 
durch Entgegenkommen zu gewinnen, wenn sie nur irgend guten Willen 
für den Deutschen Bund zeigten. Die schamlos undeutsche Gesinnung, 
welche von Montgelas' Genossen zur Schau getragen wurde, die prahle- 
rische Feindseligkeit Wrede's und die unfläthigen Schimpfreden der „lite- 
  
*) So Sack in seinem Generalberichte vom 31. März 1816.
	        
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