Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Baierns Ansprüche. 673 
rarischen Mordbrenner“ des Münchener Hofes zwangen die Staatskanzlei 
zu einer veränderten Haltung. Montgelas war durch alte Neigung und 
Gewohnheit an Frankreich gebunden und mit den Führern der norddeut— 
schen Patrioten, namentlich mit Stein und Görres, persönlich verfeindet; 
Wrede aber hoffte, durch seinen lärmenden Eifer für Friedrich August sich 
die Dankbarkeit Oesterreichs, Englands und Frankreichs zu sichern und 
mit deren Hilfe eine reiche Entschädigung für Salzburg und das Inn— 
viertel zu gewinnen. Ein grober politischer Fehler, selbst vom Gesichts— 
punkte der rein dynastischen Politik betrachtet! England hat sich um die 
süddeutschen Gebietsfragen niemals viel gekümmert, Frankreich verlor gegen 
das Ende des Congresses jeden Einfluß, und Oesterreich erwies sich bald 
als ein treuloser Freund. 
Die großen Mächte schlossen ihren Frieden in der sächsischen Sache, 
und Wrede trug von seiner anmaßenden Zudringlichkeit nur den allge— 
meinen Haß davon; selbst in den Kreisen der rheinbündischen Diplomaten 
hießen die Baiern les Prussiens du Midi. Der Czar vor Allen war 
tief erbittert und hörte willig auf den Freiherrn vom Stein, der nicht 
müde ward ihm vorzustellen, wie gefährlich es sei den Kernstaat des Rhein- 
bundes zu vergrößern. König Friedrich Wilhelm vernahm mit Befremden 
durch seinen Gesandten Küster, daß die Münchener Patriotenkreise alltäg- 
lich über den Krieg gegen Preußen „wie über die natürlichste und leichteste 
Sache von der Welt“ redeten.“) Durfte man diesem Staate gestatten, 
ganz Süddeutschland zu umklammern? Die Vereinigung der badischen 
Pfalz mit Baiern mußte dem Staatskanzler jetzt in ganz anderem Lichte 
erscheinen, da die gewünschte Niederlassung Oesterreichs am Oberrheine 
nicht erfolgt war. Und war denn Preußen irgend gebunden an jene 
leichtfertigen Versprechungen, welche Metternich eigenmächtig und insgeheim 
den Baiern gegeben hatte? Wenn Preußen den feierlich verheißenen un- 
unterbrochenen Zusammenhang seines Gebietes nicht hatte erreichen können, 
warum sollte nicht Baiern die gleiche Entsagung üben? Warum mußten 
Baden und die beiden Hessen, die für Deutschland nie ernstlich gefährlich 
werden konnten, eine schwere Beraubung ertragen um den mächtigsten 
Staat des Rheinbundes ganz unbillig zu vergrößern? 
Solche einfache Gründe der Politik und des Rechtes brachten den 
König und den Staatskanzler allmählich zu dem Entschlusse, dem Mün- 
chener Hofe nur die volle Entschädigung für die an Oesterreich abgetretenen 
Provinzen, doch nichts weiter zu gestatten. Zwar gelang es den bairischen 
Unterhändlern, nachdem sie den ganzen Winter über mit einer Commission 
der Großmächte gefeilscht und gemarktet, am 23. April 1815 einen vor- 
läufigen Vertrag mit den Mächten der Coalition abzuschließen, wornach 
Baiern für Salzburg und das Innviertel einen unverhältnißmäßigen Er- 
  
*) Küster in seinem Berichte vom 17. Mai 1815; ähnlich in vielen anderen Depeschen. 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. 1. 43
	        
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