Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Preußische Entwürfe im December. 693 
grundlos, denn die preußischen Staatsmänner betrieben, ungeschreckt durch 
den Zerfall des Fünfer-Ausschusses, das deutsche Verfassungswerk mit 
rührigem Eifer. Die nationale Politik war ihnen Herzenssache; wieder— 
holt hatten sie dem vaterlandslosen Gerede der Baiern und Württem— 
berger die Erklärung entgegengehalten: ihr König betrachte es „als seine 
Regentenpflicht, seine Unterthanen wieder in eine Verbindung zu bringen, 
wodurch sie mit Deutschland eine Nation bilden.“ Humboldt schritt sofort 
an die Ausarbeitung eines neuen Entwurfs; da stieß er auf eine ganz 
unerwartete neue Schwierigkeit. Der österreichische Minister nämlich, der 
bisher für die Kreisverfassung gesprochen hatte, ward plötzlich anderen 
Sinnes. Er errieth, was allerdings sehr nahe lag, daß die kleinen nord— 
deutschen Contingente, dem preußischen Kreisobersten untergeordnet, un— 
fehlbar in der preußischen Armee verschwinden würden; und da er bei 
dem deutschen Verfassungswerke, das ihn im Uebrigen völlig kalt ließ, 
nur den einen Zweck verfolgte die Macht Preußens zu beschränken, so 
erklärte er sich jetzt gegen jede Kreiseintheilung. Auch Münster stimmte 
dem österreichischen Freunde bei, sobald dieser ihm das Schreckgespenst 
der norddeutschen Hegemonie vor die Augen hielt. 
So geschah es, daß Humboldt jetzt gleichzeitig zwei Entwürfe für 
die Bundesacte ausarbeiten mußte, den einen mit, den anderen ohne 
Kreise; in beiden waren die wesentlichen Grundgedanken der Zwölf Ar- 
tikel beibehalten. Am 9. December erörterte der Rastlose in einer Denk- 
schrift die Vorzüge der Kreisverfassung: sie sei unentbehrlich um den 
kleinsten Staaten einen geordneten Instanzenzug für ihr Gerichtswesen 
zu sichern und die militärische Kraftanspannung schon im Frieden vor- 
zubereiten; das Gegentheil ging nur an unter „dem bonapartistischen 
Systeme", das in beständigem Kriegszustande lebte und vor keinem 
Mittel zurückschrak. Zugleich versucht er den Klagen der Kleinstaaten 
über Unterdrückung zu begegnen und schlägt vor, außer Baden und 
Kurhessen noch drei jährlich wechselnde Mitglieder des Fürstenrathes in 
den Rath der Kreisobersten aufzunehmen.)) Zwei Tage später über- 
sandte er die vollendeten Entwürfe dem Staatskanzler, betonte nochmals, 
wie wichtig die Kreisverfassung für Preußens zerstückelte Lage sei, rieth 
aber trotzdem nicht allzu ängstlich auf dieser Forderung zu bestehen, denn 
unsere Stärke in Deutschland werde immer zum Theil eine moralische 
sein, und viel komme darauf an, „daß Preußen den kleinen Fürsten nicht 
als eine Gefahr, sondern als ein Schutz erscheine.“ Jetzt endlich, nach 
fast drei Monaten fruchtloser Verhandlungen, stieg dem geistvollen Manne 
eine Ahnung, aber auch nur eine Ahnung auf von Oesterreichs bundes- 
freundlichen Absichten. „Man hat uns“, schrieb er, „gern bei der deut- 
schen Verfassungsangelegenheit vorangestellt und uns leicht und gern in 
*) Humboldt's Denkschrift über die beiden neuen Entwürfe zur Bundesacte, 9. De- 
cember 1814 
 
	        
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