Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Die Bundesacte. 711 
durch den Genuß der Souveränität aufgestachelte Dünkel der kleinen 
Kronen bewirkte in Wien eine Stimmenvertheilung, welche alle Unge— 
heuerlichkeiten des alten Reichsrechts weitaus überbot und nun ihrerseits 
dazu half jenen Dünkel bis zum Wahnsinn zu steigern. Eine gewisse 
Bevorzugung der kleinen Bundesglieder liegt im Wesen jeder Föderativ— 
verfassung; das aber ging doch über jedes Maß erlaubter Unbilligkeit 
hinaus, daß im Plenum des Bundestages die sieben größten Staaten, 
Oesterreich, die Königreiche und Baden, die zusammen mehr als fünf 
Sechstel des deutschen Volks umfaßten, mit nur 27 Stimmen die Minder- 
heit bildeten neben den 42 Stimmen des letzten Sechstels. Das hieß 
die großen Staaten geradezu auffordern zur Umgehung der Bundesbe- 
schlüsse oder zur gewaltsamen Einschüchterung der kleinen Genossen. Und 
dazu jenes Geschenk der Krone Sachsen, die Einstimmigkeit für alle wich- 
tigen Beschlüsse — eine Vorschrift die im heiligen Reiche nur für Reli- 
gionssachen und fura Singulorum gegolten hatte. Jetzt konnte Reuß 
jüngerer Linie jede Entwicklung des Bundes verbieten. Diese Fortbildung 
ward aber vollends unmöglich gemacht durch die Begründung der land- 
ständischen Verfassungen. Denn sollte der Bund irgend welches Leben 
gewinnen, so mußte er zunächst die Militärgewalt und die auswärtige 
Politik der Bundesstaaten zu beschränken suchen; dies waren aber gerade 
die einzigen Kronrechte, welche nach Einführung der Landstände den Klein- 
fürsten noch ungeschmälert verblieben, ein freiwilliger Verzicht darauf stand 
mithin ganz außer Frage. 
Und diese vielköpfige Bundesversammlung ohne Haupt trug keine 
Verantwortlichkeit, weder rechtlich noch sittlich. Sie bestand aus Gesand- 
ten, welche lediglich ihre Instruction zu befolgen hatten und also jeden 
Tadel von sich auf ihre Auftraggeber abwälzen konnten, während anderer- 
seits die kleinen Kronen nur allzubald die Kunst lernten, sich vor dem 
Zorne der öffentlichen Meinung hinter dem Bundestage zu verstecken. 
Deutschlands innere Politik ward zu einem Luftkampfe; Niemand wußte 
mehr, wo er eigentlich seine Gegner suchen sollte. Die entsittlichenden 
Wirkungen solcher Unwahrheit zeigten sich rasch genug, an den Höfen wie 
im Volke: feige Angst auf der einen, Wolkenkuckucksheimer Träume und 
unklare Verbitterung auf der anderen Seite. Die heillose Verwirrung 
mußte um so unerträglicher werden, da ein schwerer Kampf zwischen dem 
Bunde und seinen Gliedern gar nicht ausbleiben konnte; denn die Central- 
gewalt des Bundes war absolutistisch, war lediglich ein Organ der Fürsten, 
in den Einzelstaaten aber kam bald die Macht der Landtage empor. 
Die Nation nahm das traurige Werk mit unheimlicher Kälte auf. 
Wer überhaupt davon redete sprach seine grimmige Entrüstung aus. Die 
wenigen Artikel über Volksrechte, an denen der öffentlichen Meinung zu- 
meist gelegen war, enthielten so leere, so windige Versprechungen, daß 
sogar diese gutherzige Nation anfangen mußte an den bösen Willen ihrer
	        
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