64 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
diesem Volke von Privatmenschen noch irgend eine politische Leidenschaft
lebte, so war es die stille Erbitterung gegen den französischen Hochmuth,
der, so oft vom deutschen Schwerte gezüchtigt, zuletzt doch immer das
Feld behauptet hatte und jetzt wieder die rheinischen Lande mit Blut und
Trümmern bedeckte. Nun traf ihn Friedrich's guter Degen und stürzte
ihn in einen Pfuhl der Schande; ein lautes Frohlocken ging durch alle
deutsche Gauen und der Schwabe Schubart rief: „Da griff ich ungestüm
die goldne Harfe, darein zu stürmen Friedrich's Lob.“ Damals zuerst
überkam die Deutschen im Reiche wieder ein Gefühl, das dem National-
stolze ähnlich sah, und sie sangen mit dem alten Gleim: „Laßt uns
Deutsche sein und bleiben!“ Die von den deutschen Schlachtfeldern heim-
kehrenden französischen Offiziere verkündeten in Paris selber unbefangen
das Lob des Siegers von Roßbach, da ihr Stolz noch gar nicht für
möglich hielt, daß dies kleine Preußen die Macht Frankreichs jemals
ernstlich bedrohen könnte; im deutschen Lustspiel aber erhielt der einst
gefürchtete Franzose jetzt zuweilen die Rollen der komischen Person und
des windigen Abenteurers.
Ein politisches Verständniß für das Wesen des preußischen Staates
ging der Nation freilich auch jetzt noch nicht auf; dies gelehrte Volk
lebte in einer wunderbaren Unwissenheit über die entscheidenden That-
sachen seiner neuen Geschichte wie über die Institutionen seiner mächtig-
sten Staatsbildung. Wenn die Siege Friedrich's den alten Haß gegen
Preußen etwas beschwichtigt hatten, so pries sich doch selbst in den pro-
testantischen Reichslanden jeder Bürgersmann glücklich, daß er kein Preuße
war. Die geschäftigen Erdichtungen der österreichischen Partei fanden
überall willige Hörer: „diese freien Leute"“, schrieb Friedrich Nicolai um
das Jahr 1780 aus Schwaben, „sehen auf uns arme Brandenburger
wie auf Sklaven herab.“ Nur auf starke und hochstrebende Naturen
wirkte die Anziehungskraft des mächtigen Staates. Seit den fridericia-
nischen Tagen begann eine stattliche Schaar junger Talente aus dem
Reiche in preußische Dienste einzutreten; die Einen trieb die Bewun-
derung für den König, Andere die Sehnsucht nach reicher Thätigkeit,
Mancher ahnte auch dunkel die Bestimmung dieser Krone. Die Mon-
archie war jetzt der Engherzigkeit des territorialen Lebens völlig ent-
wachsen, nahm alle gesunden Kräfte aus dem Reiche willig auf und fand
in den Kreisen der Einwanderer viele ihrer treuesten und fähigsten Diener,
auch ihren Retter, den Freiherrn Karl vom Stein.
Mit den Hubertusburger Verträgen brachen für den deutschen Nor-
den vier Jahrzehnte tiefer Ruhe an: jene reich gesegnete Friedenszeit, deren
der alte Goethe späterhin so oft mit dankbarer Rührung gedachte. Da-
mals begann die alte Ueberlieferung von Preußens Armuth zur Fabel
zu werden. Das sociale Leben, vornehmlich in der Hauptstadt, gewann
reichere und freiere Formen, der Volkswohlstand nahm einen über-