788 II. 2. Belle Alliance.
als Saarlouis, Landau und einen Strich an der Maas; sie waren bereit,
dafür Avignon und das deutsche Viertel des Elsasses, die Eroberungen
der Revolution, den Bourbonen zu lassen, so daß „das alte Frankreich“
noch immer einen Zuwachs von mehreren hunderttausend Köpfen behielt!
Zwei Tage vorher hatte Talleyrand auch die Rückgabe der Kunstschätze für
unzulässig erklärt, weil sie den Haß des Volkes gegen die Bourbonen steigern
müsse. Eine solche Sprache aus dem Munde eines völlig entwaffneten
Staates erschien doch sogar den Briten und den Russen unerträglich.
Wellington, der früher die Rückforderung der Kunstschätze bedenklich ge-
funden hatte, meinte jetzt: sie sei nothwendig um den Franzosen „eine
große moralische Lection zu geben“. Auf Talleyrand's Note erwiderten die
vier Mächte schon am folgenden Tage scharf abweisend: von Eroberungen
sei überhaupt nicht die Rede, sondern nur von Maßregeln für die Sicherheit
Europas; wolle der königliche Hof etwa jenen Grundsatz der Unantast-
barkeit der französischen Grenzen wieder aufnehmen, der unter Napoleon
so viel Unglück angerichtet habe? — Den Deutschen gegenüber hatten
England und Rußland den Grundsatz der Unverletzlichkeit Frankreichs
soeben erst salbungsvoll vertheidigt; jetzt gaben sie ihn wieder auf.
In den Tuilerien verbreitete diese Antwort tiefe Bestürzung. König
Ludwig versuchte noch einmal persönlich einen Sturm auf das erregbare
Gemüth des Czaren. „In der Bitterniß meines Herzens“ — so schrieb
er am 23. Septbr. — „nehme ich meine Zuflucht zu E. Maj., um Ihnen
hingebend das peinliche Gefühl auszusprechen, das ich beim Durchlesen
der Vorschläge der vier Mächte empfunden habe. Eines vor Allem er-
schüttert mich tief und treibt mich zur Verzweiflung an dem Wohle des
unglücklichen Frankreichs: der niederschmetternde Gedanke, daß E. Maj.,
auf den ich meine Hoffnung gesetzt, die mir übersendete Note gebilligt zu
haben scheint. Ich zögere nicht Ihnen zu versichern, Sire: ich werde
mich weigern das Werkzeug für den Untergang meines Landes zu werden
und ich werde eher vom Throne niedersteigen als der Befleckung seines
alten Glanzes durch eine beispiellose Erniedrigung zustimmen!“ Kaiser
Franz und König Friedrich Wilhelm III. wurden durch Handbillette auf
dies verzweifelte Schreiben aufmerksam gemacht.“!) Indeß die angedrohte
Abdankung war doch allzu unwahrscheinlich, das theatralische Pathos des
Briefes stand in einem allzu lächerlichen Mißverhältniß zu der Thatsache,
daß die Verbündeten das alte Frankreich ungestört im Besitze einer erheb-
lichen Vergrößerung lassen wollten. Selbst der Czar war über den maß-
losen Jammer seines Schützlings befremdet. Ganz unerschütterlich blieb
Alexander freilich nicht; er setzte durch, daß von den letzten Forde-
*) König Ludwig an Kaiser Alexander 23. September, an Kaiser Franz 23. Sep-
tember 1815 — neuerdings zum Theil abgedruckt bei Maggiolo, Pozzo di Borgo
S. 219.