Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

84 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. 
Wie lebhaft ihn auch die Ideen des neuen Frankreichs beschäftigen, 
ein großer Schriftsteller ist er nur, wenn er deutsche Gedanken mit fran- 
zösischen Worten ausspricht, wenn er in seinen politischen, militärischen 
und historischen Schriften als ein deutscher Fürst und Feldherr redet. 
Nicht in der Schule der Fremden, sondern durch eigene Kraft und eine 
unvergleichliche Erfahrung wurde Friedrich der erste Publicist unseres 
achtzehnten Jahrhunderts, der einzige Deutsche, der mit schöpferischer 
Kritik an den Staat herantrat und in großem Stile von den Pflichten 
des Bürgers sprach: so warm und tief wie der Verfasser der Briefe des 
Philopatros wußte noch Niemand aus jenem staatlosen Geschlechte über 
die Vaterlandsliebe zu reden. Der greise König hielt es nicht mehr der 
Mühe werth, von der Höhe seines französischen Parnasses hinabzusteigen 
in die Niederungen deutscher Kunst und mit eigenen Augen zu prüfen, 
ob die Dichterkraft seines Volkes nicht endlich erwacht sei. In dem Auf- 
satze über die deutsche Literatur, sechs Jahre vor seinem Tode, wiederholt 
er noch die alten Anklagen der regelrechten Pariser Kritik wider die zucht- 
lose Verwilderung der deutschen Sprache, fertigt die abscheulichen Platt- 
heiten des Götz von Berlichingen, den er schwerlich je gelesen, mit schnöden 
Worten ab. Und doch giebt gerade diese berüchtigte Abhandlung ein be- 
redtes Zeugniß von dem leidenschaftlichen Nationalstolze des Helden. Er 
weissagt der Zukunft Deutschlands eine Zeit geistigen Ruhmes, die den 
Ahnungslosen schon mit ihrem Morgenscheine bestrahlte. Wie Moses 
sieht er das gelobte Land in der Ferne liegen und schließt hoffnungsvoll: 
„Vielleicht werden die zuletzt kommen alle ihre Vorgänger übertreffen!“ 
So nah und so fern, so fremd und so vertraut stand Deutschlands großer 
König zu seinem Volke. 
Die große Zeit der alten Monarchie ging zur Rüste. Um den König 
ward es still und stiller; die Helden, die seine Schlachten geschlagen, die 
Freunde, die mit ihm gelacht und geschwärmt, sanken Einer nach dem 
Andern in's Grab; der Fluch der Größe, die Einsamkeit kam über ihn. 
Er war gewohnt, kein menschliches Gefühl zu schonen; waren ihm doch 
selber einst alle wonnigen Träume der Jugend durch den unbarmherzigen 
Vater zertreten worden. Im Alter ward die rücksichtslose Strenge zur 
unerbittlichen Härte. Der ernste Greis, der in spärlichen Mußestunden 
einsam mit seinen Windspielen an den Gemälden der Gallerie von Sans- 
sonci entlang schritt, oder im runden Tempel des Parkes schwermüthig 
der verstorbenen Schwester gedachte, sah tief unter seinen Füßen ein neues 
Geschlecht kleiner Menschenkinder dahin ziehen; sie sollten ihn fürchten 
und ihm gehorchen, an ihrer Liebe lag ihm nichts. Die Uebermacht des 
einen Mannes lastete drückend auf den Gemüthern. Wenn er zuweilen 
noch in das Opernhaus kam, dann schienen Oper und Sänger vor den 
Zuschauern zu versinken, Alles blickte hinüber nach der Stelle im Par- 
terre, wo der verfallene Alte mit den großen harten Augen saß. Als
	        
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