Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

4 II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre. 
das Schwert mit dem Pfluge und dem Hobel vertauschten, brannte die 
Not auf den Nägeln; sie sorgten, wie sie sich nur das arme Leben fristen, 
wie sie nur wieder Hütten bauen sollten auf dem ausgeplünderten Schlacht— 
felde des Völkerkrieges. Deutschland war wieder das ärmste von allen 
Ländern Westeuropas; in manchen Strichen der Mark Brandenburg be— 
gann zum fünften Male das schwere Ringen um die ersten Anfänge bür— 
gerlichen Wohlstandes. Mit ruhigem Gottvertrauen gingen die kleinen 
Leute wieder an ihr schweres Tagewerk und trugen geduldig das Los der 
Entbehrung, das ihnen als Lohn so vieler Siege zufiel. Jener Geist der 
Unruhe und Verwilderung, der gemeinhin nach großen Kämpfen noch eine 
Zeitlang im Gemüte der Massen nachzuzittern pflegt, zeigte sich nirgends 
unter den frommen und genügsamen Menschen, die diesen heiligen Krieg 
geschlagen hatten. Aber in dem Gedränge der wirtschaftlichen Sorgen 
blieb auch kein Raum für die politische Leidenschaft. Sogar die Erinne— 
rung an alle die Wunder der jüngsten drei Jahre fand selten lauten Aus— 
druck, obwohl sie in den treuen Herzen still fortlebte. Zwei-, dreimal noch 
flammten am Abend des achtzehnten Oktobers die Freudenfeuer auf den 
Bergen; dann verstummte die Feier an den meisten Orten, hier vor den 
Verboten der Polizei, dort vor der Gleichgiltigkeit der Menge. Auffällig 
gering blieb in diesem schreiblustigen Geschlechte die Zahl der Volksbücher 
und Holzschnitte, welche der Nation von der schönsten Zeit ihrer neuen 
Geschichte erzählten. Ein gespreiztes Bild, „die Rückkehr des jungen Helden“, 
sah man zuweilen an den Wänden guter Bürgerhäuser, die ihre Söhne 
unter die freiwilligen Jäger geschickt hatten; auf den Jahrmärkten und 
in den Dorfschenken war selbst das Bildnis Blüchers, des volkstüm- 
lichen Helden, fast nirgends zu finden. 
Auch unter den Gebildeten waren es im Grunde nur drei scharf 
getrennte Kreise, welche sich die gehobene Stimmung, die stolzen vater- 
ländischen Hoffnungen der Kriegsjahre noch im Frieden lange bewahrten: 
das preußische Offizierskorps, die akademische Jugend, endlich eine mäßige 
Anzahl von patriotischen Schriftstellern und Gelehrten, die man jetzt mit 
dem neuen spanischen Parteinamen der Liberalen zu bezeichnen anfing. 
Die preußischen Offiziere lebten und webten in den Erinnerungen der 
Feldzüge; sie blickten mit starkem Selbstgefühl auf den wiederhergestellten 
Glanz ihrer Fahnen, mit Unmut auf den gebrechlichen Bau des Deut- 
schen Bundes und das traurige Ergebnis der Friedensverhandlungen. 
Während des Kampfes hatten sie die kriegerische Kraft des Bürgertums 
achten gelernt, manchen tapferen Kameraden aus den Reihen der Frei- 
willigen in ihren Kreis aufgenommen. Nun wurde ihnen durch das neue 
Wehrgesetz die Erziehung der gesamten wehrhaften Jugend anvertraut, 
sie traten mit allen Klassen des Volkes in Verkehr und bewahrten sich 
auch den freien, einst durch Scharnhorst geweckten wissenschaftlichen Sinn; 
der Kastenhochmut der alten Zeit kehrte nur in vereinzelten Rückfällen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.