Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Adam Müller. 113 
Nirgends erschien seine Doktrin so bodenlos, so allen Tatsachen wider- 
sprechend wie in Preußen; denn kein anderer Staat hatte die Majestät des 
Staatsgedankens so hoch gehalten wie dieser, dessen Fürsten immer die 
ersten Diener des Staates waren. Daher auch Hallers wilder Haß gegen 
Friedrich den Großen, gegen den aufgeklärten preußischen Absolutismus, 
der die hassenswürdige Konskription erfunden habe, und gegen das Allge- 
meine Landrecht: „außer auf dem Titelblatte sieht man nirgends, ob es 
eher für Japan und China als für den preußischen Staat gegeben sei.“ 
Gleichwohl fand Haller gerade in Preußen zahlreiche und mächtige An- 
hänger. Der Kronprinz und seine romantischen Freunde meinten in dem 
grundherrlichen Staate die Farbenpracht des Mittelalters wiederzuerkennen; 
Marwitz und die Feudalen von der märkischen Ritterschaft begrüßten mit 
Jubel den entschlossenen Denker, der den Monarchen wieder in die Reihe 
der Grundbesitzer hinabstieß, die Gesellschaft wieder in Lehr-, Wehr= und 
Nährstand teilte und „den Freieren des Landes“ so wertvolle Privi- 
legien zugestand; den Absolutisten behagte, daß im Hallerschen Staate der 
Fürst vor dem Volke war; die Ultramontanen freuten sich des Lobes der 
Theokratie, welche dem Konvertiten als die freieste und wohltätigste aller 
Staatsformen erschien; die ängstlichen Gemüter fanden ihre eigenen 
bangen Befürchtungen bestätigt durch die Anklagen des Berner Fanatikers, 
der die ganze Welt von der großen Verschwörung der Freimaurer, der 
Illuminaten, der Revolutionäre bedroht wähnte. Alle Gegner der Revolu- 
tion hießen die siegreiche Polemik gegen das Naturrecht willkommen. Während 
in den einfacheren und größeren Verhältnissen des französischen Staats- 
lebens die Partei der Feudalen und Klerikalen schon offen als die Feindin 
des bureaukratischen Absolutismus auftrat, wogten in Deutschland alle 
diese Richtungen der Gegenrevolution noch ungeschieden durcheinander. 
Ungleich geringeren Anklang fand die rein ultramontane Staatslehre 
des vielgewandten Sophisten Adam Müller. Das römische Wesen wollte 
in dem Heimatlande der Ketzerei nicht recht gedeihen; keiner unserer 
klerikalen Schriftsteller konnte sich dem Grafen de Maistre vergleichen, dem 
ritterlichen Savoyarden, der mit der ganzen Glut romanischen Glaubens- 
eifers, bald witzig spottend, bald pathetisch zürnend, die Unterwerfung der 
sündigen Welt unter das Papsttum forderte und die „vertierende“ Wissen- 
schaft des „Jahrhunderts der Narrheit“ bekämpfte. Solcher Schwung der 
Seele, solche Glut begeisterter Kreuzfahrergesinnung war dem geistreichen 
deutschen Konvertiten nicht gegeben. Adam Müller erkannte zwar scharf- 
sinnig manche Schwächen des Liberalismus, namentlich seiner wirtschaft- 
lichen Doktrinen; er zeigte schlagend, wie wenig das System des Gehen- 
lassens in dem Kampfe der sozialen Interessen genüge, wie unmöglich die 
vollständige internationale Arbeitsteilung zwischen unabhängigen Völkern 
sei, und sagte warnend vorher, aus der modernen Volkswirtschaft werde 
ein neuer Geldadel hervorgehen, schnöder, gefährlicher als der alte Ge- 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. II.
	        
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