Adam Müller. 113
Nirgends erschien seine Doktrin so bodenlos, so allen Tatsachen wider-
sprechend wie in Preußen; denn kein anderer Staat hatte die Majestät des
Staatsgedankens so hoch gehalten wie dieser, dessen Fürsten immer die
ersten Diener des Staates waren. Daher auch Hallers wilder Haß gegen
Friedrich den Großen, gegen den aufgeklärten preußischen Absolutismus,
der die hassenswürdige Konskription erfunden habe, und gegen das Allge-
meine Landrecht: „außer auf dem Titelblatte sieht man nirgends, ob es
eher für Japan und China als für den preußischen Staat gegeben sei.“
Gleichwohl fand Haller gerade in Preußen zahlreiche und mächtige An-
hänger. Der Kronprinz und seine romantischen Freunde meinten in dem
grundherrlichen Staate die Farbenpracht des Mittelalters wiederzuerkennen;
Marwitz und die Feudalen von der märkischen Ritterschaft begrüßten mit
Jubel den entschlossenen Denker, der den Monarchen wieder in die Reihe
der Grundbesitzer hinabstieß, die Gesellschaft wieder in Lehr-, Wehr= und
Nährstand teilte und „den Freieren des Landes“ so wertvolle Privi-
legien zugestand; den Absolutisten behagte, daß im Hallerschen Staate der
Fürst vor dem Volke war; die Ultramontanen freuten sich des Lobes der
Theokratie, welche dem Konvertiten als die freieste und wohltätigste aller
Staatsformen erschien; die ängstlichen Gemüter fanden ihre eigenen
bangen Befürchtungen bestätigt durch die Anklagen des Berner Fanatikers,
der die ganze Welt von der großen Verschwörung der Freimaurer, der
Illuminaten, der Revolutionäre bedroht wähnte. Alle Gegner der Revolu-
tion hießen die siegreiche Polemik gegen das Naturrecht willkommen. Während
in den einfacheren und größeren Verhältnissen des französischen Staats-
lebens die Partei der Feudalen und Klerikalen schon offen als die Feindin
des bureaukratischen Absolutismus auftrat, wogten in Deutschland alle
diese Richtungen der Gegenrevolution noch ungeschieden durcheinander.
Ungleich geringeren Anklang fand die rein ultramontane Staatslehre
des vielgewandten Sophisten Adam Müller. Das römische Wesen wollte
in dem Heimatlande der Ketzerei nicht recht gedeihen; keiner unserer
klerikalen Schriftsteller konnte sich dem Grafen de Maistre vergleichen, dem
ritterlichen Savoyarden, der mit der ganzen Glut romanischen Glaubens-
eifers, bald witzig spottend, bald pathetisch zürnend, die Unterwerfung der
sündigen Welt unter das Papsttum forderte und die „vertierende“ Wissen-
schaft des „Jahrhunderts der Narrheit“ bekämpfte. Solcher Schwung der
Seele, solche Glut begeisterter Kreuzfahrergesinnung war dem geistreichen
deutschen Konvertiten nicht gegeben. Adam Müller erkannte zwar scharf-
sinnig manche Schwächen des Liberalismus, namentlich seiner wirtschaft-
lichen Doktrinen; er zeigte schlagend, wie wenig das System des Gehen-
lassens in dem Kampfe der sozialen Interessen genüge, wie unmöglich die
vollständige internationale Arbeitsteilung zwischen unabhängigen Völkern
sei, und sagte warnend vorher, aus der modernen Volkswirtschaft werde
ein neuer Geldadel hervorgehen, schnöder, gefährlicher als der alte Ge-
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. II.