Schmalz der Denunziant. 117
Preußen das gehorsame Hannover als ein Musterbild vorzuhalten. Niebuhr
und Schleiermacher wiesen den armseligen Ankläger zurück, jener mit
tiefem Ernst, dieser mit schonungslosem Spott. In anderen Gegenschriften
zeigte sich freilich die verblendete Selbstüberhebung des jungen Liberalismus.
Ludwig Wieland, der Sohn des Dichters, erwiderte dem Verteidiger des
absoluten Königtums kurzab: „das Repräsentativsystem ist das wahre und
auch das einzige, wozu rechtliche und vaterländische Menschen sich öffentlich
bekennen dürfen!“ Rat Koppe in Aachen, ein ausgezeichneter preußischer
Beamter, behauptete zuversichtlich: durch das talismanartige Wort „Ver—
fassung“ wird die deutsche Einheit gesichert; denn „überall strebt der Natio—
nalwille nach dieser Einheit; alle Abweichungen davon hatten ihren Grund
in dem Ubergewichte der Regierungsgewalt über den Volkswillen!“
Dem Könige kamen diese Händel sehr ungelegen. Er hatte soeben bei
der Besitzergreifung der neuen Provinzen wiederholt ausgesprochen, daß er,
ausschließlich mit der Zukunft des Staates beschäftigt, alles Vergangene
als abgetan betrachte; er empfand lebhaft, was er der Liebe und Hin-
gebung seiner Preußen verdankte, und hielt es, wie er dem Zaren ver-
traulich gestand, für eine heilige Schuld, das Glück dieses treuen Volkes
zu sichern. Jedoch der Anblick der Pariser Parteikämpfe beunruhigte ihn
schwer, und als er erfuhr, daß seine Berliner Stadtverordneten den unge-
hörigen Antrag gestellt hatten, die Bürger= und Schützenkompagnien allein
der Aufsicht des Magistrats unterzuordnen, befahl er dem Staatskanzler,
streng darüber zu wachen, daß dieser dem preußischen Volke fremde Partei-
geist nicht überhandnehme.) Um Neujahr 1816 machte er durch eine
würdig und freundlich gehaltene Verordnung dem literarischen Zanke ein
Ende. Der Monarch erkannte offen an: dieselben Gesinnungen, welche die
Stiftung des alten Tugendbundes veranlaßt, hätten im Jahre 1813 die
Mehrheit des preußischen Volkes beseelt und die Rettung des Vaterlandes
herbeigeführt, jetzt aber, im Frieden, könnten geheime Verbindungen nur
schädlich werden. Das alte Verbot der geheimen Gesellschaften ward er-
neuert, die Fortsetzung des Streites untersagt, eine Untersuchung, welche
Niebuhr und seine Freunde zu ihrer eigenen Rechtfertigung beantragt
hatten, als überflüssig abgelehnt. Nun verstummte der Lärm, aber jeder-
mann fühlte, daß die arge Saat des Anklägers, der eben jetzt durch einen
preußischen und einen württembergischen Orden ausgezeichnet wurde, doch
nicht auf ganz undankbaren Boden gefallen war. — Mit solchen Ge-
sinnungen schritten Deutschlands Fürsten und Stämme in die ersehnte
Friedenszeit hinein. Dort ein stiller, gegenstandsloser Argwohn; hier ein
blinder Glaube an die zauberische Wirkung der konstitutionellen Staats-
formen, ein kindliches Vertrauen zu der untrüglichen Weisheit des Volks;
in den Massen endlich tiefe Sehnsucht nach Ruhe und friedlicher Arbeit.
*) K. Friedrich Wilhelm an K. Alexander, März 1816. Kab.-Ordre an Hardenberg,
1. Sept. 1815. Näheres in Beilage 6.