Preußens Verhältnis zum Deutschen Bunde. 129
verbündeten Staates erlaubte. Solche Fragen wurden stets nur in ver—
traulichen Briefen an den zuverlässigsten der Berliner Freunde, den Fürsten
Wittgenstein, oder auch bei den persönlichen Zusammenkünften der Monar-
chen in freundschaftlichen Gesprächen behutsam berührt.
Diese wohlberechnete Zurückhaltung fiel dem klugen Manne nicht leicht;
denn im Grunde des Herzens beunruhigten ihn die inneren Zustände
Preußens noch weit mehr als die Lage Frankreichs. Er konnte sich nicht
verhehlen, daß Preußen mit der bitteren Erinnerung an eine unverdiente
diplomatische Niederlage die Waffen niederlegte, und sich mit der lächer-
lichen Zerrissenheit seines Gebietes auf die Dauer nicht begnügen durfte.
Er glaubte fest, daß die Zentralverwaltung seines Todfeindes Stein die
preußische Jugend mit gefährlichen Gedanken revolutionärer Eroberungslust
erfüllt habe, und fand seinen Verdacht durch die Schriften Arndts und
Görres“ bestätigt. Am unheimlichsten blieb ihm doch die unerhörte Er-
scheinung des preußischen Volksheeres; keiner der Staatsmänner der alten
Schule wollte glauben, daß so viel rücksichtsloser Freimut, so viel lär-
mende vaterländische Begeisterung mit unverbrüchlicher Königstreue Hand
in Hand gehen könne. Und allerdings verbargen die preußischen Offiziere
ihr abschätziges Urteil über Osterreichs Heer und Heeresführung keines-
wegs, und mancher dachte schon wie der tapfere General Steinmetz vom
Vorkschen Korps, der zur Zeit des zweiten Pariser Friedens rundweg schrieb:
Osterreich sei kein deutsches Haus mehr, die Oberherrschaft in Deutschland
gebühre den Preußen. Während der ersten zwei Jahre nach dem Friedens=
schlusse quälte alle Höfe des Vierbundes beständig die Sorge, Preußen
könne durch sein fanatisiertes Heer zu revolutionären Abenteuern fortge-
rissen werden. Wellington äußerte, dieser Staat sei schlimmer daran als
Frankreich, hier bestehe gar keine Autorität mehr. Zar Alexander ent-
schuldigte seine Rüstungen mit der Notwendigkeit, Deutschland gegen die
Revolution zu beschützen; „Preußen insbesondere ist krank,“ sagte er zu
Steigentesch, „und der König von Preußen wird der erste sein, dem ich
Beistand werde leisten müssen.“)
In Wahrheit lag dem Berliner Hofe nichts ferner als der Ehrgeiz
revolutionärer Kriegspolitik. Jedermann im Lande wußte, daß der König
fest entschlossen war, wenn irgend möglich nie wieder das Schwert zu
ziehen. Wohl fehlte es unter den jüngeren Beamten und Offizieren nicht
an einzelnen weitschauenden Köpfen, welche die Unhaltbarkeit der Gestal-
tung des Staatsgebietes erkannten und schleunige Abhilfe forderten. Der
Präsident von Motz in Erfurt führte in einer geistvollen Denkschrift aus:
die von Hardenberg erstrebte Führerstellung im Norden könne nur dann
gesichert werden, wenn Preußen für einige Striche seiner rheinisch-west-
fälischen Provinzen Oberhessen und Fulda eintausche und also am Unter-
*7) Krusemarks Bericht, 17. April 1816.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 9