Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Preußens Verhältnis zum Deutschen Bunde. 129 
verbündeten Staates erlaubte. Solche Fragen wurden stets nur in ver— 
traulichen Briefen an den zuverlässigsten der Berliner Freunde, den Fürsten 
Wittgenstein, oder auch bei den persönlichen Zusammenkünften der Monar- 
chen in freundschaftlichen Gesprächen behutsam berührt. 
Diese wohlberechnete Zurückhaltung fiel dem klugen Manne nicht leicht; 
denn im Grunde des Herzens beunruhigten ihn die inneren Zustände 
Preußens noch weit mehr als die Lage Frankreichs. Er konnte sich nicht 
verhehlen, daß Preußen mit der bitteren Erinnerung an eine unverdiente 
diplomatische Niederlage die Waffen niederlegte, und sich mit der lächer- 
lichen Zerrissenheit seines Gebietes auf die Dauer nicht begnügen durfte. 
Er glaubte fest, daß die Zentralverwaltung seines Todfeindes Stein die 
preußische Jugend mit gefährlichen Gedanken revolutionärer Eroberungslust 
erfüllt habe, und fand seinen Verdacht durch die Schriften Arndts und 
Görres“ bestätigt. Am unheimlichsten blieb ihm doch die unerhörte Er- 
scheinung des preußischen Volksheeres; keiner der Staatsmänner der alten 
Schule wollte glauben, daß so viel rücksichtsloser Freimut, so viel lär- 
mende vaterländische Begeisterung mit unverbrüchlicher Königstreue Hand 
in Hand gehen könne. Und allerdings verbargen die preußischen Offiziere 
ihr abschätziges Urteil über Osterreichs Heer und Heeresführung keines- 
wegs, und mancher dachte schon wie der tapfere General Steinmetz vom 
Vorkschen Korps, der zur Zeit des zweiten Pariser Friedens rundweg schrieb: 
Osterreich sei kein deutsches Haus mehr, die Oberherrschaft in Deutschland 
gebühre den Preußen. Während der ersten zwei Jahre nach dem Friedens= 
schlusse quälte alle Höfe des Vierbundes beständig die Sorge, Preußen 
könne durch sein fanatisiertes Heer zu revolutionären Abenteuern fortge- 
rissen werden. Wellington äußerte, dieser Staat sei schlimmer daran als 
Frankreich, hier bestehe gar keine Autorität mehr. Zar Alexander ent- 
schuldigte seine Rüstungen mit der Notwendigkeit, Deutschland gegen die 
Revolution zu beschützen; „Preußen insbesondere ist krank,“ sagte er zu 
Steigentesch, „und der König von Preußen wird der erste sein, dem ich 
Beistand werde leisten müssen.“) 
In Wahrheit lag dem Berliner Hofe nichts ferner als der Ehrgeiz 
revolutionärer Kriegspolitik. Jedermann im Lande wußte, daß der König 
fest entschlossen war, wenn irgend möglich nie wieder das Schwert zu 
ziehen. Wohl fehlte es unter den jüngeren Beamten und Offizieren nicht 
an einzelnen weitschauenden Köpfen, welche die Unhaltbarkeit der Gestal- 
tung des Staatsgebietes erkannten und schleunige Abhilfe forderten. Der 
Präsident von Motz in Erfurt führte in einer geistvollen Denkschrift aus: 
die von Hardenberg erstrebte Führerstellung im Norden könne nur dann 
gesichert werden, wenn Preußen für einige Striche seiner rheinisch-west- 
fälischen Provinzen Oberhessen und Fulda eintausche und also am Unter- 
  
*7) Krusemarks Bericht, 17. April 1816. 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 9
	        
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