182 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
leonischen Herrschaft ihre alten Institutionen fast bis auf die letzte Spur
verloren. Schon bei der Besitznahme der neuen Provinzen entspann sich
überall Streit mit mißgünstigen Nachbarn. Das russische Gouvernement
in Warschau befahl noch im Frühjahr 1815 umfassende Domänenverkäufe
in Posen; ebenso Darmstadt im Herzogtum Westfalen; auch die öster-
reichisch-bayrische Verwaltung in den Ländern an der Mosel und Nahe erhob
zum Abschied Renten und Steuern im voraus und ließ die Wälder bei
Boppard niederhauen. Nassau weigerte sich, den Verträgen zuwider, das
Siegensche zu räumen, bis Hardenberg drohte das Land ohne Übergabe
besetzen zu lassen. Die Russen hatten selbst Danzig nur ungern ausge-
liefert; in Thorn blieb ihre Garnison, trotz dringender Mahnungen, bis
zum 19. September 1815 stehen. Dann vergingen noch Jahre, bis der
neue Besitzstand durch Verträge mit den grollenden Nachbarstaaten recht-
lich gesichert wurde. Erst im Jahre 1816 wurde mit den Niederlanden,
1817 mit Rußland ein Grenzvertrag geschlossen; mit dem tief gekränkten
Dresdner Hofe mußten bis in das Jahr 1819 hinein kleinliche und pein-
liche Verhandlungen wegen der neuen Grenze geführt werden, und erst
im Jahre 1825 war die Auseinandersetzung über alle zwischen den beiden
Nachbarn streitigen Vermögensobjekte vollendet.
Nun erhob sich die Aufgabe, das also dem Neide Europas mühsam
entrungene Gebiet einer gleichmäßigen Verwaltung zu unterwerfen; es
galt, die Ausländerei im Inlande, die Kleinstaaterei im Großstaate zu über-
winden, alle diese Trümmerstücke der deutschen Nation, die mit einander
noch nicht viel mehr als die Sprache gemein hatten, mit einer lebendigen
Staatsgesinnung zu erfüllen. Gelang das Werk der politischen Verschmel-
zung in dieser Hälfte Deutschlands, so war die Nichtigkeit des Partikularis=
mus durch die Tat erwiesen und der Boden bereitet für den Neubau des
deutschen Gesamtstaates; die Vollendung des preußischen Einheitsstaates
gab dieser Epoche unserer politischen Geschichte ihren eigentlichen Inhalt.
Die Aufgabe war um so schwieriger, da die Monarchie, als sie die neuen
Provinzen erwarb, sich schon mitten in einem gefährlichen Übergangszu-
stande befand: fast auf allen Gebieten der Gesetzgebung waren umfassende
Reformen erst halb vollendet, und doch fehlte die in Wahrheit leitende
Hand, stark genug, jene überfülle von Talenten, die dem Staate diente,
unter einen Willen zu beugen. Kein anderer Staat jener Tage zählte
in den Reihen seiner Beamten eine solche Schar ungewöhnlicher Menschen:
Verwaltungstalente wie Vincke, Schön, Merckel, Sack, Hippel, Bassewitz;
Finanzmänner wie Maassen und Hoffmann; Techniker wie Beuth und
Hartig; Juristen wie Daniels und Sethe; unter den Diplomaten Hum-
boldt, Eichhorn, Niebuhr; dazu die Generale des Befreiungskrieges und
die Größen der Kunst und Wissenschaft. Sie alle waren gewohnt an den
Taten der Staatsregierung eine rücksichtslos freimütige Kritik zu üben,
die als ein Vorrecht des hohen Beamtentums, als ein Ersatz gleichsam