Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

188 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates. 
zärtlich. Aber nichts entging den lauernden Blicken dieser falschen blauen 
Augen; mit unversöhnlichem stillem Hasse verfolgte Wittgenstein alles 
was an Stein und die stürmische nationale Bewegung der Kriegsjahre 
erinnerte, und nicht lange so fand er auch den Staatskanzler selbst des 
teutonischen Jakobinertums verdächtig und begann ihn unmerklich Schritt 
für Schritt zur Seite zu drängen. Die verrufene „höhere“ Polizei, welche 
einst Justus Gruner zur Notwehr gegen die napoleonischen Späher ein— 
gerichtet hatte, wurde zwar nach dem Frieden aufgehoben; doch blieben 
mehrere ihrer geheimen Agenten noch in Tätigkeit, und nach ihren Be— 
richten bildete Wittgenstein sein Urteil über die Gesinnung der Nation. 
Ganz einsam stand der junge Finanzminister Graf Bülow unter den 
Genossen, der Vetter Hardenbergs, ein schöner blonder Mann, der mit 
seiner vornehmen, weltmännischen Anmut, seiner leichten, oft leichtfertigen 
Geschäftsgewandtheit den Staatskanzler an seine eigene Jugend erinnerte 
und von ihm wie ein Sohn geliebt wurde. Er war nach dem Tilsiter 
Frieden, gleich vielen anderen wackeren Beamten des Magdeburger Landes, 
widerwillig in den Dienst des Königs Jerome getreten, da die alte Heimat 
ihn nicht unterbringen konnte, und hatte dann als westfälischer Minister 
für die Entfesselung des inneren Verkehrs, für die Durchführung ver— 
ständiger handelspolitischer Grundsätze viel getan, bis er endlich wegen 
seiner deutschen Gesinnung und seines unabhängigen Auftretens entlassen 
wurde. Trotzdem ward er von den altpreußischen Beamten wie ein Ver— 
räter angesehen; der Stolz der Preußen vergab es nicht, daß Hardenberg 
noch während des Krieges gegen Napoleon einen Diener Jeromes in das 
Ministerium einführte. In der Tat war Bülow von den Anschauungen 
der französischen Bureaukratie nicht unberührt geblieben; er bewunderte 
das napoleonische Steuersystem und hatte sich unter den westfälischen 
Präfekten an einen herrischen Ton und eine durchfahrende Eigenmächtigkeit 
gewöhnt, die dem preußischen Beamtentum unerträglich schienen. Als— 
bald überwarf er sich mit mehreren Oberpräsidenten; auch mit seinem 
Vetter und Gönner geriet er in Streit, da ein geordneter Staatshaus- 
halt allerdings unmöglich war, so lange der Staatskanzler ohne den Finanz- 
minister zu befragen über beliebige Summen frei verfügen durfte. Die 
ewigen Händel verbitterten den Heftigen, und bald erkannte man in seinem 
reizbaren, zänkischen Wesen die alte Liebenswürdigkeit kaum noch wieder. 
Die reaktionäre Partei des Ministeriums fand bei Hofe eine mächtige 
Stütze an dem Kommandeur der Garde, dem Herzog Karl von Mecklen— 
burg. Der Bruder der Königin Luise hatte sich auf dem Schlachtfelde 
und dem Exerzierplatz stets als tüchtiger Offizier bewährt, aber für die refor— 
matorischen Ideen der Freunde seiner Schwester hegte er kein Verständnis. 
Eine schöne ritterliche Erscheinung, ein angenehmer unterrichteter Gesell— 
schafter, auf den Hoffesten als begabter Poet und Schauspieler viel bewundert, 
sehr tätig im Staatsrate wie in seinem militärischen Berufe, war er doch
	        
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