Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

194 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates. 
Als man den Sitz der Kreisbehörde des Freystädter Kreises nach Neusalz 
verlegen wollte, da häuften sich die Petitionen, eine Gesandtschaft drang 
bis zum Könige; der alte Kalckreuth schrieb an Hardenberg, er müsse zu— 
grunde gehen, wenn die Behörde nicht mehr in der Nachbarschaft seines 
Gutes hause, die Strolche würden ihm den Kohl und die Kartoffeln von den 
Feldern stehlen; der passive Widerstand war unüberwindlich. Die Monarchie 
erfuhr in hundert Fällen, was sie späterhin bei allen Reformen der Kommu- 
nalverwaltung abermals erfahren sollte, daß es in Deutschland ungleich 
leichter ist, zwei Staaten zu verschmelzen als zwei Kreise oder Gemeinden. 
Überall, im Volke wie auf den Thronen, überschätzte man noch un- 
endlich den Gegensatz der Landschaften und Stämme. Wenn sogar die 
königlichen Beamten in Pommern sich nur bis zu der bescheidenen Hoff- 
nung verstiegen, es werde im Verlaufe langer Jahre die allmähliche „An- 
näherung zwischen den beiden Nationen“ der schwedischen Pommern und 
der Altpommern möglich werden; wenn selbst Sack in seinen Verwaltungs- 
berichten versicherte, der Jülicher, der Aachener, der Kölner und der Mosel- 
länder wichen in ihrem Charakter dermaßen von einander ab „als ob es 
ganz verschiedene Nationen wären“: so zeigte sich vollends im Volke die 
nachbarliche Abneigung oft bis zur leidenschaftlichen Gehässigkeit gesteigert. 
Alle altpreußischen Landesteile betrachteten es als eine Schande, 
wenn man sie den neuen Provinzen einfügen wollte. Als die Regierung den 
Plan faßte, die Niederlausitz samt der altbrandenburgischen Herrschaft 
Beeskow der Provinz Sachsen zuzuteilen, da wendeten sich die Stände 
des Beeskow-Storkower Kreises an den König und klagten, ganz so laut 
und stürmisch, wie sie einst unter Marwitzs Führung gegen Hardenbergs 
Agrargesetze geeifert hatten: „Wir fangen mit demjenigen an, was uns das 
Heiligste und Wichtigste sein muß, von Ew. Majestät Beamten aber ganz 
unbeachtet gelassen, vielleicht als ein leeres Vorurteil angesehen wird, 
weil sie nicht gewohnt sind die Gesinnungen der Völker zu beachten: wir 
sollen aufhören Brandenburger und Preußen zu sein! Sollen wir Bran- 
denburger bleiben und unsere Volkstümlichkeit erhalten? Dann wird 
es uns auf eine ähnliche Weise ergehen, wie es einst erging und noch er- 
geht dem Ucberrest des wendischen Volks in unserer Nachbarschaft, das in 
einem beständigen Mißtrauen, in einer beständigen Absonderung von seinen 
Nachbarn und in einer beständigen Anfeindung seitens letzterer seine Existenz 
noch jetzt fortschleppt. Sollen wir aber den sächsischen Volkscharakter an- 
nehmen? Das werden wir nicht können, nicht weil wir ihn für unwürdig 
anerkennen, sondern weil wir einmal Brandenburger sind!““) Da auch 
die Stände des wieder gewonnenen Kottbuser Landes sich ebenso ungestüm 
gegen jede Gemeinschaft mit den Sachsen verwahrten, so gab der Staats- 
kanzler nach und ließ die Grenze der Provinz Brandenburg weiter nach 
Süden verlegen. Minder glücklich fuhren die Altmärker. Auch sie ver- 
*) Eingabe der Kreisstände von Beeskow-Storkow an den König, 31. Okt. 1815. 
 
	        
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