Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Die Schicksalstragödie. 19 
die männliche Kunst der Dramatik einen ganzen Mann verlangt. Sein 
Leben lang schwankte er friedlos hin und her zwischen wüsten Begierden 
und überschwänglicher Verzückung, zwischen cynischer Gemeinheit und einer 
weinerlichen Gefühlsschwelgerei, die sich's nicht versagen konnte am Grabe 
eines Hundes für den Seelenfrieden des Entschlafenen zu beten. Da 
sein zerrissenes Gemüt „bei Gott und dem heiligen Rousseau“ keinen 
Trost fand, so flüchtete er sich endlich zu Rom in den Schoß der alten 
Kirche und klammerte sich in krampfhafter Angst an den Felsen Petri an. 
Wenn der kritische Verstand des Ostpreußen zuweilen erwachte, wenn ihm 
das Blutfest des heiligen Januarius wie ein peruanischer Götzendienst 
vorkam, so betäubte er die Zweifel durch das Getöse ekstatischer Aus- 
rufungen. Dann kam er nach Wien, in den Tagen da der rührige Pater 
Hoffbauer in der lebenslustigen Stadt zum ersten Male wieder eine streng 
kirchliche Partei begründet und eine Schar von Konvertiten um sich ge- 
sammelt hatte; er ging auf alle Anschauungen dieser klerikalen Kreise 
freudig ein und trat den Freiheitsgesängen der norddeutschen Jugend ent- 
gegen mit dem Liede: „das Feldgeschrei sei: alte Zeit wird neul“ Zur 
Zeit des Kongresses ward er der Modeprediger der vornehmen Welt. Halb 
zerknirscht, halb ergötzt lauschte das elegante Wien, wenn der lange hagere 
Priester mit den unheimlichen dunklen Augen seine gewaltige Baßstimme 
erschallen ließ und bald in glühenden Farben den Schwefelpfuhl der 
ewigen Verdammnis, bald mit gründlicher Sachkenntnis und schlecht ver- 
hehltem Behagen die Verirrungen der Sinnlichkeit schilderte. Wie seinem 
Leben so fehlte auch seinem dichterischem Schaffen die Entwicklung und 
Läuterung. Seine Jugenddramen bekundeten ein starkes realistisches 
Talent und lebendigen Sinn für historische Größe; in einzelnen Szenen 
der „Weihe der Kraft“" trat die mächtige Gestalt Martin Luthers, das hoch- 
gemute, farbenreiche Leben unseres sechzehnten Jahrhunderts markig und 
anschaulich heraus. Dicht daneben lag freilich eine krankhafte Lust am 
Spukhaften, Scheußlichen und Wilden; jene rätselhafte Verbindung von 
Glaubenswut, Wollust und Blutdurst, die uns in den Naturreligionen 
unreifer Völker anwidert, schien in dem unseligen Menschen wieder lebendig 
zu werden. Nach seinem Ubertritte nahm er mit bußfertigem Eifer sein 
bestes Werk zurück und schrieb eine klägliche „Weihe der Unkraft“. In 
seinem letzten Drama „die Mutter der Makkabäer“" verriet sich schon die 
Gewissenlosigkeit eines halb umnachteten Geistes, der hinter schwülstigen 
Hymnen und grell gemalten Märtyrerbildern die Armut seines religiösen 
Gefühles zu verbergen suchte. 
Wirksamer als Werners historische Trauerspiele wurde seine im Jahre 
1815 veröffentlichte Schicksalstragödie „der vierundzwanzigste Februar", 
ein auf die Erregung körperlichen Schauders berechnetes Virtuosenstück. 
Das tragische Schicksal ergab sich hier nicht mit innerer Notwendigkeit 
aus dem Charakter der Handelnden, sondern aus dem rätselhaften Zauber 
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