Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Eröffnung des Landtags. 309 
Volk habe seine Vertreter nur in der Voraussetzung gewählt, daß keine 
andere Basis als die von den Voreltern ererbte und von allen Regenten 
beschworene Konstitution Württembergs den Verhandlungen zugrunde ge— 
legt würde. Einstimmig, in leidenschaftlicher Erregung genehmigte der Land— 
tag die Adresse. Die neue Verfassung blieb unbeachtet auf dem Tisch des 
Hauses liegen, sie ward in wenigen Augenblicken ein wertloses Stück Papier. 
Das schroffe Auftreten der Stände gab das Signal für den Losbruch 
der Volksleidenschaften. Der ständische Trotz der guten alten Zeit, die 
radikalen Stimmungen der neunziger Jahre, der verhaltene Ingrimm der 
rheinbündischen Tage und die neuen Freiheitswünsche, welche der Kampf 
gegen Napoleon erregt hatte, brausten durcheinander. Wie viel näher als die 
nebelhaften Fragen der deutschen Politik lagen doch diesem Geschlechte die 
handgreiflichen Nöte der Heimat! Die Petition an den Bundestag um 
Erfüllung des Art. 13 fand in Schwaben kaum vereinzelte Unterzeichner; 
der Stuttgarter Landtag aber ward mit Bittschriften, Beschwerden und Zu— 
stimmungserklärungen überschüttet. Eine Unzahl streitbarer Flugschriften 
trat für die Stände in die Schranken, manche mit jakobinischer Wildbeit. 
Eine „Appellation an die hohen Befreier Deutschlands“ trug auf dem 
Titel die drohende Bemerkung „Imprimatur kraft der Zensurfreiheit der 
württembergischen Landschaft“ und stellte die Frage: „Was kostet diese 
Krone?“ Die Antwort lautete: „Einen himmelschreienden Eidbruch, viele 
tausende erzwungener Meineide, Gewalttaten ohne Zahl, Erpressungen 
der Willkür und des Ubermuts, und dazu in den Kauf das Menschen- 
blut von 30—40,000 aus der hoffnungsvollen Jugend der Landeskinder! 
Das Blut so vieler tausend Geopferter walle, sprudle, glühe um den 
Stuhl des Despoten!“ Eine zweite „Appellation“ verlangte „eine Eidver- 
brüderung aller rechtlichen Männer für Recht und nichts als Recht aber 
auch für altes gutes Recht, mit der Losung: Gott und unsere Rechtel! 
Rechtlich frei, so rechtlich treu!“ Also flog der heilige, deutschen Herzen 
so unwiderstehliche Name des Rechtes in hundertfachem Widerhall hin 
und her; mit einigen sophistischen Scheingründen halfen sich die Aufge- 
regten hinweg über die unbestreitbare Tatsache, daß jenes alte Recht in 
der größeren Hälfte des Landes niemals bestanden hatte. Begeistert nahm 
die gesamte deutsche Presse Partei für den Landtag, weil er die beiden hei- 
ligsten Empfindungen der Zeit, die treue Liebe zum heimatlichen Brauche 
und die unbestimmte Freiheitssehnsucht zugleich vertrat. Nur die Mün- 
chener Alemannia verfocht wie immer die Sache des rheinbündischen 
Absolutismus. 
Auf die Adresse der Stände folgten scharfe Rechtsverwahrungen 
der Mediatisierten, der katholischen und lutherischen Prälaten. Sogar 
die Agnaten des königlichen Hauses protestierten gegen das neue harte 
Hausgesetz, an ihrer Spitze Herzog Paul, ein wüster Mensch von un- 
gezügeltem Ehrgeiz, der gern die Rolle eines schwäbischen Philipp Egalité
	        
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