322 II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
hierauf erklärte der Monarch, daß er zunächst die Beschlüsse des Bundes-
tags über die Rechte der deutschen Landstände abwarten und inzwischen
alle die übrigen Verheißungen seines Entwurfs in Kraft setzen werde.
Zwei Jahre lang schaltete der König nun wieder als unumschränkter
Herr und gab dem Lande in rascher Folge eine Reihe wohltätiger Ge-
setze, welche die beiden „Reformminister“ Wangenheim und Kerner, der
Bruder des Dichters, seit langem vorbereitet hatten. Die Leibeigen-
schaft fiel endlich hinweg, auch ein Teil — freilich nur ein Teil — der
grundherrlichen Abgaben ward für ablösbar erklärt, die Auswanderung
wurde frei gegeben, die bisher völlig unselbständigen Kommunen erhielten
das alte Institut der Gemeindedeputierten in verbesserter Gestalt wieder,
und an die Stelle der Landvögte traten vier Kreisregierungen. Die
katholisch-theologische Fakultät in Ellwangen wurde nach Tübingen ver-
legt, so daß die hartlutherische alte Landesuniversität jetzt in die Reihe
der paritätischen Hochschulen eintrat; um für einen Teil der bisher mit
Schreibern besetzten Verwaltungsstellen brauchbare Beamte auszubilden
unternahm man auch die wenig glückliche Einrichtung einer besonderen
Fakultät für die Staatswirtschaft. Da sich während der Notjahre fast
überall in dem fruchtbaren Lande ein sehr mangelhafter Zustand des
Landbaus herausstellte und die ganz ohne Kapital wirtschaftenden kleinen
Bauern scharenweise den Wucherjuden verfielen, so griff der König mit
seinem scharfen Geschäftsverstande kräftig ein. Er bildete einen großen
landwirtschaftlichen Verein, zur Belehrung und Unterstützung der Grund-
besitzer, gründete Gestüte und Musterwirtschaften auf seinen Kammer-
gütern, errichtete in Hohenstein eine landwirtschaftliche Lehranstalt, die
unter der Leitung des rüstigen Rheinländers Schwerz bald mit Möglin
wetteiferte. Es war sein persönliches Verdienst, daß unter den schwä-
bischen Landwirten wieder ein frischer Unternehmungsgeist erwachte; all-
jährlich drängten sich die Bauern zu dem lustigen landwirtschaftlichen
Feste, das seit 1818 in Cannstatt abgehalten wurde, und warben mit
ihren Rossen und Stieren um die königlichen Preise.
Währenddem blieb die politische Stimmung des Landes noch lange
so gereizt, daß selbst Wangenheim noch im Frühjahr 1818 vor der Be-
rufung eines neuen Landtags dringend warnte.) Nach und nach kehrte
doch die ruhige Besinnung zurück. Namentlich die Neuwürttemberger be-
gannen den Eigensinn der Stände zu bereuen, und der „Volksfreund“
Friedrich Lists, der die neuen Ideale der allgemeinen Volksvertretung,
der Selbstverwaltung, der öffentlichen Rechtspflege mit Geist und Lei-
denschaft verherrlichte, fand unter der Jugend wachsenden Anhang. Aber
auch der König bereute seine vergeblichen Anerbietungen; er hatte er-
fahren, daß der Ruhm des liberalsten deutschen Fürsten doch nicht so
*) Wangenheim an Hartmann, 1. April 1818.