Uhland. 31
Liedern vornehmlich verdankte er die Liebe des Volkes, die ihm zuerst in
der schwäbischen Heimat, dann auch im übrigen Deutschland frohlockend
entgegenkam bis er endlich der volkstümlichste aller unserer großen Dichter
wurde. In den schlichten, tief empfundenen Worten von Liebes Leid und
Freude, von Wanderglück und Abschiedsschmerz, von der Lust des Weines
und der Waffen fanden alle, Vornehm und Gering, die Erinnerungen
ihres eigenen Lebens wieder. Zumal die Oberdeutschen fühlten sich an-
geheimelt, wenn ihnen zwischen den Zeilen des Dichters stets die schwä-
bische Landschaft mit ihren Rebenhügeln und sonnigen Flüssen, mit ihrem
heiteren sangeslustigen Völkchen entgegenwinkte. Die einfachen, dem Volks-
liede nachgebildeten Weisen forderten unwillkürlich zum Singen auf; bald
wetteiferten die Tonsetzer sich ihrer zu bemächtigen. Die ganze Jugend
stimmte mit ein. Uhlands Lieder erklangen wo immer deutsche Soldaten
über Land marschierten, wo Studenten, Sänger und Turner sich zum
fröhlichen Feste zusammenfanden; sie wurden eine Macht des Segens für
das frisch aufblühende kräftige Volksleben des neuen Jahrhunderts. Das
junge im Kriege gestählte Geschlecht drängte überall aus der Stubenluft
der guten alten Zeit hinaus ins Freie, die deutsche Wanderlust forderte
ihr Recht, alte halbvergessene Volksfeste gelangten wieder zu Ehren. Der
neue Volksgesang schlug eine Brücke über die tiefe Kluft, welche die Ge-
bildeten von den Ungebildeten trennte, führte die Massen, die nichts
lasen, zuerst in die Kunstdichtung der Gegenwart ein; und wenngleich
jene köstliche ungebrochene Einheit der nationalen Gesittung, wie sie einst
in den Tagen der Staufer bestanden, für die gelehrte Bildung der moder-
nen Welt immer unerreichbar blieb, so war es doch eine heilsame Rückkehr
zur Natur, daß allmählich mindestens ein Teil der schönsten deutschen
Gedichte der ganzen Nation lieb und verständlich wurde. Wie schlug dem
schwäbischen Dichter das Herz, als er die neu erwachende Liederfreude
seines Volkes sah; voll Zuversicht rief er den Genossen die nur allzu treu-
lich beherzigte Mahnung zu:
Singe, wem Gesang gegeben
In dem deutschen Dichterwald!
Das ist Freude, das ist Leben,
Wenn's von allen Zweigen schallt!
Der schlichte Mann konnte sich nicht satt sehen an dem lärmenden
Gewimmel der Volksfeste, und das waren ihm die Augenblicke des höch-
sten Dichterlohnes, wenn er einmal auf einer Rheinreise irgendwo im
Walde junges Volk mit frischen Stimmen seine eigenen Lieder singen
hörte, oder wenn ein Tübinger bemoostes Haupt in festlichem Komitat
über die Neckarbrücke hinauszog und das Abschiedslied „es ziehet der
Bursch in die Weite“ bis in den Rebgarten des Dichterhauses am Oster-
berge hinüberklang.
Wohl umspannten seine Gedichte nur einen ziemlich engen Kreis von