414 II. 7. Die Burschenschaft.
Königshaus angeschlossen, nur die alte Abneigung gegen das fridericia-
nische Zeitalter konnte er nicht überwinden. Seit er einst tapfer für die
Aufhebung der Leibeigenschaft in seiner vorpommerschen Heimat einge-
treten war, stand er bei der reaktionären Partei im Rufe eines Gleich-
heitspredigers. Durchaus mit Unrecht. Arndts Wünsche gingen niemals
über die Ideen seines Gönners Stein hinaus; er wollte eine lebendige
Gliederung der Stände, einen angesehenen Adel, freie Bauerschaften, ein
kräftiges in Zünfte geordnetes Bürgertum und betrachtete selbst Harden-
bergs Agrargesetze nicht ohne romantischen Widerwillen.
In diesem liebreichen Herzen, das dem Überschwang seiner Gefühle
nur durch gehäufte Superlative zu genügen wußte, in dieser offenen, heiteren
Natur fand der politische Fanatismus keine Stätte. Nur die Urteilslosigkeit
der Jugend konnte „Vater Jahn und Vater Arndt“" wie zwei Brüder feiern,
und nur Arndts rührende Bescheidenheit konnte sich diese Vergleichung ge-
fallen lassen. In Wahrheit gehörten die beiden ganz verschiedenen Schichten
der geistigen und der sittlichen Kultur an. Arndt gebot über einen uner-
schöpflichen Schatz gediegenen Wissens, obwohl er die strenge Methode der
Fachgelehrten niemals lernte, und bewegte sich frei auf den Höhen mensch-
licher Bildung, zu denen Jahn kaum emporblicken konnte. Er nannte
sich selber oft einen Bauern und nahm es als Fußwanderer mit dem
besten Turner auf; im Sommer sah man ihn täglich den Rhein durch-
schwimmen oder mit dem blauen Kittel angetan in seinem Garten harken.
Aber auch in der vornehmen Gesellschaft fühlte er sich heimisch und sicher;
aller Blicke hingen an dem stämmigen kleinen Manne mit den strahlenden
blauen Augen, wenn er zu erzählen begann, ein unwiderstehlich liebens-
würdiger Plauderer, immer natürlich und kräftig, immer geistreich und edel.
Einem so kerngesunden Geiste konnte das zynische Wesen der Turner
wenig behagen. Mahnend hielt er der Jugend vor: nicht in der Rauheit
der Spartaner oder der Römer dürften Deutsche ihr Vorbild suchen;
fraget Euch doch: „waren sie glücklich? machten sie glücklich?“
Unter den Jenenser Professoren stand Fries den Studenten am
nächsten; diese Jugend, die an Fichtes Ideen sich begeisterte, saß arglos
zu den Füßen eines Lehrers, der immer zu Fichtes Widersachern gehört
hatte. Die neue Lehre Hegels galt in Jena noch als reaktionär; sie war, wie
Fries behauptete, nicht in den Gärten der Wissenschaft, sondern auf dem
Misthaufen der Kriecherei erwachsen. Auch Fries zeigte sich wie Luden
als Lehrer ungleich wirksamer denn als Schriftsteller. Der schwärmeri-
schen Jugend gefiel, daß der gutmütige, aber unklare Philosoph Be-
griffe und Gefühle vermengte und also die sittliche Welt in einen Brei
des Herzens auflöste, wie Hegel ihm hart und treffend vorwarf; sie fühlte
sich in ihrer subjektiven Willkür bestärkt, wenn ihr argloser Lehrer in viel-
deutigen Worten immer wieder ausführte: der Mensch soll seiner Über-
zeugung treu bleiben, ob er sich auch die ganze Welt zum Feinde mache.