Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Das Wartburgfest. 425 
Vorstellungen der jungen Brauseköpfe zu einem einzigen Bilde zusammen. 
Den Radikaleren galt, Luther als ein republikanis cher Held, als ein Vor— 
kämpfer der freien „Überzeugung“; in einer Festschrift von Karl Sand, 
die unter den Burschen verteilt ward, erschien die evangelische Lehre von 
der Freiheit des Christenmenschen mit modern-demokratischen Ideen phan- 
tastisch verbunden. „Hauptidee unseres Festes“, hieß es da, „ist, daß wir 
allzumal durch die Taufe zu Priestern geweiht, alle frei und gleich sind; 
Urfeinde unseres deutschen Volkstums waren von jeher drei: die Römer, 
Möncherei und Soldaterei.“ Dadurch ward freilich der gesamtdeutsche 
Charakter des Festes von vornherein getrübt. Die katholischen Universitäten 
des Oberlandes, die ohnehin mit den norddeutschen noch keinen regel- 
mäßigen studentischen Verkehr unterhielten, konnten keine Einladung er- 
halten; die Freiburger Burschen mußten für sich allein am 18. Oktober 
auf dem Wartenberge bei Donaueschingen ihr Siegesfeuer anzünden. Von 
den österreichischen Hochschulen war nicht die Rede, da sie dem deutschen 
Studentenbrauche ganz fern standen, auch, mit Ausnahme der Sieben- 
bürger Sachsen und weniger Ungarn, noch fast kein Osterreicher in 
Deutschland studierte. Aber auch auf den preußischen Universitäten hatte 
die Burschenschaft noch so wenig Anhang, daß allein Berlin der Einla- 
dung Folge leistete. So war denn bei der Feier der Völkerschlacht gerade 
die Studentenschaft der beiden Staaten, welche allein schon bei Leipzig 
für die Sache der Freiheit gefochten, fast gar nicht vertreten; und alle 
die wundersamen Märchen, womit die Liberalen der rheinbündischen Län- 
der die Geschichte des Befreiungskrieges auszuschmücken liebten, fanden 
freien Paß. 
Schon lange zuvor hatte die Presse mit mächtigen Trompetenstößen 
den großen Tag angekündigt. Eine freie Zusammenkunft von Deutschen 
aller Länder allein um des Vaterlandes willen war diesem Geschlechte 
eine so erstaunliche Erscheinung, daß sie ihm fast wichtiger vorkam als die 
weltbewegenden Ereignisse der letzten Jahre. Im Laufe des 17. Oktobers 
langten an fünfhundert Burschen in Eisenach an, etwa die Hälfte aus 
Jena, dreißig aus Berlin, die übrigen aus Gießen, Marburg, Erlangen, 
Heidelberg und anderen Universitäten der Kleinstaaten; die rüstigen Kieler 
hatten nach Turnerbrauch den weiten Weg zu Fuß zurückgelegt. Auch 
vier der Jenenser Professoren fanden sich ein, Fries, Oken, Schweitzer und 
Kieser. Jede neu eintreffende Schar ward schon am Tore mit stür- 
mischer Freude begrüßt und dann in den Rautenkranz geleitet, um dort 
vor den gestrengen Herren des Ausschusses auf dreitägigen Burgfrieden 
Urfehde zu schwören. Anderen Tags in der Frühe stieg „der heilige Zug“ 
bei hellem Herbstwetter durch den Wald hinauf zu der Burg des Refor- 
mators: voran der Burgvogt Scheidler mit dem Burschenschwerte, darauf 
vier Burgmänner, dann, von vier Fahnenwächtern umgeben, Graf Keller 
mit der neuen Burschenfahne, welche die Jenenser Mädchen ihren sitten-
	        
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