Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Akademische Unruhen. 435 
folgte auf Schlag; ein wütender Streit begann, der beiden Teilen zur 
Unehre gereichte. Die Gerichte schritten ein und verurteilten beide Par— 
teien; Lindner ward ausgewiesen und ging ins Elsaß, wo er bald, bezaubert 
von den Doktrinen der Franzosen, zu einem liberalisierenden Rheinbündler 
wurde. Die Studenten aber hatten jetzt endlich ein Opfer gefunden für 
den ziellosen, ingrimmigen Haß, der in ihren Herzen kochte, der faunische 
Kauz in Weimar erschien ihnen wie der Ausbund aller Niedertracht, wie 
der böse Dämon des Vaterlandes, und drohend erklang es auf dem 
Burschenhause: 
Noch bellt der Kamptz= und Schmalzgesell, 
Beel= und Kotzebue. 
So gärte es in den Köpfen der Jugend; die Nation aber fuhr fort 
jeden Torenstreich der Studenten mit kindischer Neugierde zu besprechen. 
Im Sommer 1818 zogen die Göttinger Studenten aus der Musenstadt 
aus, infolge eines ganz unpolitischen Streites mit der Bürgerschaft, er- 
klärten die Georgia Augusta in Verruf, und kneipten einige Tage lang in 
Witzenhausen, wobei dem Tode ein Pereat gebracht wurde. Solche Aus- 
züge hatten in der alten Zeit zuweilen den Bestand einer Hochschule ge- 
fährden können; jetzt, da jeder Bundesstaat von seinen Beamten und 
Geistlichen den Besuch der Landesuniversität verlangte, waren sie nur 
noch lächerlich. Gleichwohl rief auch diese Kinderei eine ganze Schar 
von Flugschriften ins Leben. Staatsrat Dabelow, der berühmte Orga- 
nisator des Empire Anhaltin-Coethien, der auch den Zorn der Feuer- 
richter auf der Wartburg hatte erfahren müssen, beschwor die hohen Re- 
gierungen, mit Ernst gegen die jungen Hochverräter einzuschreiten; zufällig 
wurde der brauchbare Jurist bald nachher nach Dorpat berufen, und nun 
schien es den Studenten klar erwiesen, daß der Zar sie mit Spionen 
rings umstellt habe. Ein anderer Schriftsteller schilderte das Göttinger 
Ereignis in einem gründlichen Buche und schmückte sein Werk mit den 
Bildern der Studenten „im Rate des Verrufs", unheimliche Gestalten, 
welche geradeswegs aus den böhmischen Wäldern von der Bande des 
Räubers Moor entsprungen schienen. Bald nachher lieferten die Tübinger 
Studenten die Lustnauer Schlacht, einen Kampf um ein Dorfwirtshaus, 
von dem die Poeten der schwäbischen Hochschule noch heute singen und 
sagen; dann wurden auch die Heidelberger Burschen von dem Geiste der 
Unruhe ergriffen und stürmten das Bierhaus zum großen Faß. Alle 
diese Nichtigkeiten besprach Deutschlands Presse mit feierlicher Salbung. 
Der Student errang sich an den Höfen wie im Volke ein unbegreifliches 
Ansehen, ward hier als geborener Tribun gefeiert, dort als gewerbmäßiger 
Verschwörer beargwöhnt, und der französische Minister Graf de Serre 
schrieb seinem Freunde Niebuhr: „Eure Staatsmänner tun mir leid, sie 
führen Krieg mit Studenten!“ 
Nur der beherzte Großherzog ließ sich in seinem hochsinnigen Vertrauen 
28“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.