Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

458 II. 8. Der Aachener Kongreß. 
Gemeindebehörden der Hauptstadt wurden ungebärdig, weil niemand aus 
der Residenz bei der Befragung der Notabeln zugezogen worden war, 
und mahnten in mehrfachen Eingaben an das königliche Wort, worauf 
ihnen der Bescheid wurde, daß „wiederholte Erinnerungen unangemessen 
erschienen“.) 
Hardenberg konnte sich nicht mehr verhehlen, daß er endlich selber 
Hand ans Werk legen mußte. Aber woher die Zeit und die Kraft für 
die Verfassungsarbeit nehmen inmitten der Unmasse von Geschäften, die 
den Alternden fast erdrückte? Da half ihm Wittgenstein, dem er arglos 
seine Sorgen anvertraute, mit einem freundlichen Rate aus (6. Mai). 
Der Fürst empfahl die Anstellung von zwei neuen Ministern als zweiten 
Chefs für die beiden Departements, welche der Staatskanzler bisher noch 
unmittelbar leitete; für die General-Kontrolle schlug er den Grafen Lottum 
vor, einen wohlmeinenden Mann, der politisch wenig bedeutete, für das 
auswärtige Amt den dänischen Gesandten in Berlin, Graf Christian 
Bernstorff. Da Hardenberg mit Bernstorff seit Jahren näher befreundet 
war, so ging er unbedenklich auf den Gedanken ein und schrieb am 
25. Mai dem Könige: er fühle die Last seiner achtundsechzig Jahre und 
halte sich auch verpflichtet vorzusorgen „für den täglichen Fall, daß Gott 
über mich geböte“. Das Staatskanzleramt wolle er bis zu seinem Ende 
fortführen, aber einen Nachfolger für diesen Posten wisse er schlechter- 
dings nicht zu nennen; am einfachsten also, wenn jetzt schon Minister 
für sämtliche Departements ernannt würden, damit nach seinem Ab- 
leben alles ungestört weiter gehe. Darauf folgten die Vorschläge, die 
er „mit seinem bewährten Freunde Wittgenstein“ besprochen hatte. Der 
König, der den Grafen Bernstorff ebenfalls von Jugend auf kannte und 
schätzte, genehmigte den Antrag, und nachdem der anfangs lebhaft über- 
raschte dänische Gesandte die Erlaubnis seines Monarchen eingeholt, 
wurde die Anderung am 16. September durch ein überaus gnädiges 
Schreiben des Königs an den Staatskanzler förmlich vollzogen.) 
Es war ein Meisterstreich Wittgensteins. Der schlaue Hofmann 
hatte einen Plan, der seine Spitze unzweifelhaft gegen den Staatskanzler 
richtete, so geschickt eingefädelt, daß dem Könige wie dem Staatskanzler 
selber alles als Hardenbergs eigenes Werk erscheinen mußte. Die Be- 
setzung des auswärtigen Amtes bot große Schwierigkeiten; denn das diplo- 
matische Korps Preußens besaß in jenem Augenblicke neben vielen brauch- 
baren Diplomaten zweiten Ranges, die fast durchweg gute Gesandtschafts- 
  
*) Eingabe des Großen Ausschusses der kur= und neumärkischen Ritterschaft, 
17. März; Antwort des Königs, 28. März; Bericht der Merseburger Regierung, 
28. Juni; Schreiben der Berliner Stadtverordneten, 15. Januar; Bericht der Berliner 
Regierung, 16. Febr. 1818. 
*"“) Hardenbergs Tagebuch, 6. Mai; Hardenberg an den König, 24. und 30. Mai; 
Kabinettsordre an Hardenberg, 16. Sept. 1818.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.