494 II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
achten bei dem Staatsministerium ein, das letzte erst im Mai.“) Keine
dieser Denkschriften verriet krankhafte Ängstlichkeit; selbst Graf Bern—
storff, der sich noch am besorgtesten äußerte, gestand bescheiden zu, daß er
die preußischen Verhältnisse erst wenig kenne. Die meisten der Minister
fanden das Bild, das die Kabinettsordre von den inneren Zuständen ent—
warf, allzu düster gefärbt, erklärten ihr festes Vertrauen zu der guten
Gesinnung des Volks wie der Beamten und warnten vor einer öffent—
lichen Bekanntmachung, die nur verstimmend wirken könne. Die Be—
schleunigung der Verfassungsarbeit hielt selbst der strengkonservative Schuck—
mann für das sicherste Mittel um die öffentliche Meinung zu beruhigen.
Am freimütigsten unter allen schrieb der Kriegsminister: was hätte, so
fragte er mit soldatischer Offenheit, Friedrich der Große denken sollen,
wenn er die Tischgespräche seiner so treuen, so herrlich bewährten Generale
hätte beachten wollen? Er verlangte ein Preßgesetz ohne Zensur, mit
Strafen für die geschehenen Vergehen, und erklärte: „Wenn der preu—
ßische Staat mit seiner Gesetzgebung in dem Geiste fortgeht, der sich seit
dem Jahre 1806 auf Befehl Sr. Majestät bei uns entwickelt hat, wenn
wir jedes unnütze Zögern in der Vollendung unserer Gesetzgebung zu ver—
meiden suchen, dann kann ein jeder rechtliche Mann es mit seinem Kopfe
verbürgen, daß der preußische Staat nicht allein den Gefahren der Zeit
ruhig zusehen darf, sondern sie auch ohne ängstliche Vorsichtsmaßregeln
siegreich überstehen wird.“
Im einzelnen gingen die Vorschläge natürlich weit auseinander, da
jeder nach Gutdünken diese oder jene Frage aus der Kabinettsordre
herausgegriffen hatte. Selbst über den Hauptgrund der langsamen Ge—
schäftsführung des Ministeriums, über die eigentümliche Mittelstellung des
Staatskanzlers sprachen sich nur drei der Minister aus: Kircheisen, Bülow
und mit besonderem Nachdruck Beyme, der entschieden verlangte, daß der
Staatskanzler das Haupt des Ministeriums werden müsse: „ohne dieses ist
alles Übrige ganz vergeblich.“ Die neun Vota boten, trotz der achtungs-
werten Gesinnung, die aus ihnen sprach, doch ein ebenso verworrenes
und verwirrendes Gesamtbild wie vor kurzem die Gutachten der Notabeln
über die Verfassung; und unter den Ministern fand sich niemand, der die
anderen gezwungen hätte, dies Durcheinander subjektiver Ansichten in
gründlicher Beratung zu sichten, der Krone einen Beschluß, einen ge—
meinsamen Antrag vorzulegen. Die wichtige Arbeit blieb liegen, der König
erhielt in sieben Monaten keine Antwort und sah seinen Vorwurf, daß
diesem Ministerium die Einheit fehle, vollauf bestätigt. So versäumte
die Ratlosigkeit des Ministeriums den günstigen Augenblick, da die Politik
*) Votum von Schuckmann 20. Jan., Bernstorff Anfang Februar, Boyen 12. Febr.,
Klewitz Februar, Altenstein 1. März, Lottum 4. März, Bülow 5. März, Beyme ohne
Datum, Kircheisen 2. Mai 1819.