Humboldts Denkschrift über die Verfassung. 499
fassungsplan, welche mit den Gedanken des Staatskanzlers in allem wesent—
lichen übereinstimmte. Wie hatte sich doch Humboldts reicher Geist empor-
gearbeitet aus dem sozialen Idealismus seiner Jugend! Noch immer
bekämpft er die fureur de gouverner, doch nicht mehr den Staat will er
beschränken, sondern die Macht des Beamtentums. Dem Bürger weist
er nicht mehr die Aufgabe zu, die freie Geselligkeit den Eingriffen der
Staatsgewalt gänzlich zu entziehen, sondern den sittlichen Beruf, selbst-
tätig teilzunehmen an der Verwaltung; nur dann gelange die sittliche
Ausbildung des Mannes zur Vollendung, nur dann gewinne der Staat
lebendigen Zusammenhang mit dem Volksgeiste und in den Tagen
der Gefahr die Kraft, sich auf sittliche Mächte zu stützen. Allein die Er-
kenntnis dieser inneren Notwendigkeit, nicht irgend eine äußere Rücksicht
auf königliche Verheißungen könne das Wagnis der Beschränkung der
monarchischen Gewalt rechtfertigen. So hatte auch dieser Kantianer sich
erfüllt mit jenen fruchtbaren Ideen historischer Staatsanschauung, welche
der Kampf gegen das napoleonische Weltreich erzeugte. Er wußte auch die
Gegenwart mit historischem Sinn zu erfassen, in den Erscheinungen des
Augenblicks das Lebendige zu scheiden von dem Toten. Niemand ver-
stand wie er die Weisheit der Hellenen, die den Staatsmann den prak-
tischen Historiker nennt. Wie alle freien Köpfe aus dem Kreise Steins
will er das Parlament aufrichten auf der Selbstverwaltung der Gemein-
den, Kreise und Provinzen. Wie sie verlangt er die Gliederung in drei
Stände, obschon das übermächtige Anwachsen der Mittelklassen, die Aus-
gleichung der alten Standesunterschiede seinem scharfen Blicke nicht ent-
geht. Wie sie will er den Reichsständen die Gesetzgebung, den Provinzial-
ständen auch Verwaltungsaufgaben zuweisen.
Nach Humboldts Ansicht ist „gar nicht die Rede davon, etwas neues
willkürlich einzuführen, sondern nur das Wiederaufleben des bloß zufällig
und widerrechtlich Unterdrückten möglich zu machen.“ Er weiß, daß alle
dauerhaften Verfassungen in ihren Anfängen etwas Unförmliches haben,
und will darum die Rechte der alten Stände, auch wo sie das Ebenmaß
des neuen Baues stören, behutsam schonen. Aber er sieht auch, daß die
altständischen Territorien schon um ihrer Kleinheit willen in dem Groß-
staate sich nicht mehr behaupten können, und verlangt darum Provinzial-
stände für die neuen Oberpräsidialbezirke. Provinzialstände ohne Reichs-
stände erscheinen ihm als eine Gefahr für die Einheit des Staates wie für
die Rechte der Stände; denn den Provinzialständen, sagt er als ein Seher,
kann nur eine beratende Stimme eingeräumt werden, einer wirklichen
Standschaft gebührt das Recht des Beschließens. Die Einheit der Mon-
archie steht ihm so hoch, daß er für alle ständischen Körper unmittelbare
Wahlen verlangt; ein aus den Provinzialständen hervorgehender Reichstag
kann „den Korporationsgeist" — das will sagen: den Partikularismus —
nicht verleugnen. Einzelne Stellen lassen freilich noch die unfertige poli-
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