Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Karl Sand. 521 
Freistaats erfüllte ihm die Seele, und nun wies Luden durch seinen 
Aufsatz gegen Kotzebue dem wilden Drange ein bestimmtes Ziel; der 
frivole Schalk erschien dem tugendstolzen Schwärmer wie das Urbild aller 
Sünden des alten Geschlechts, obwohl Sand von ihm nichts kannte als 
ein paar Lustspiele und einige Wochenblattsartikel. In solcher Stimmung 
kam der Unglückliche nach Jena. Eine abstrakte Begeisterung für Helden— 
tum und Opfertod erfüllte ihm die Seele, und er mahnte einen Freund: 
„Unser Tod ist Heldenlauf; kurzer Sieg; früher Tod! Tut nichts, wenn 
wir nur wirklich Helden sind. Früher Tod bricht nicht die Siegesbahn, 
wenn wir nur auf ihr als Helden sterben.““) Dann geriet er unter 
das Joch Karl Follens und sog mit Begierde die Mordlehren der schwar- 
zen Brüder ein. Jetzt endlich — so schrieb er bald nachdem er Follen 
kennen gelernt — habe er ein Ziel für sein Leben gefunden: „aus eige- 
ner Überzeugung, in eigener Art leben wollen mit unbedingtem Willen, 
im Volke den reinen Rechtszustand, d. i. den einzig gültigen, den Gott 
gesetzt hat, gegen alle Menschensatzung mit Leben und Tod zu vertei— 
digen“. Sein geistiges Vermögen reichte nicht aus um den schülerhaften 
Denkfehler, der dem Moralsysteme Follens zugrunde lag, zu durchschauen. 
Er brachte es über sich, sein Gewissen gleichsam zu teilen, blieb im täglichen 
Leben treu, wahrhaft, hilfreich, nur gegen die Tyrannen schien ihm alles 
erlaubt. Seine theologischen Studien, die er über dem Verbindungsleben 
arg vernachlässigt hatte, boten ihm doch die Mittel, um die Lehre der Ge— 
wissenlosigkeit auf religiöse Gründe zu stützen; aus der Bibel und dem 
Thomas a Kempis wähnte er den Satz herauszulesen: „wenn der Mensch 
die Wahrheit so erkannt hat, daß er vor Gott sagen kann: das ist wahr 
— so ist es auch Wahrheit, wenn er es tut!“ Und als er nun täglich 
„den Meister der Vaterlandserretter“, Karl Follen mit beredtem Munde 
die sittliche Notwendigkeit des Meuchelmordes preisen hörte, da kam ihm 
der Gedanke sich selbst zu opfern für die gute Sache und zu erproben, 
ob er das Volk durch den Schrecken einer heiligen Mordtat aus seinem 
Schlummer aufrütteln könne. 
Kalt, sicher, ganz mit sich einig traf er seine Vorbereitungen; er 
hatte sich längst gewöhnt jeden Vertreter der gegnerischen Ansicht als einen 
Todfeind zu betrachten, er lebte im Zustande des Krieges mit den Ge— 
walthabern und ihren Helfershelfern, er war berechtigt Kotzebue mit dem 
Dolche zu strafen, „weil er das Göttliche in mir, meine Überzeugung 
unterdrücken will“. Die niedrige Feigheit einer Gewalttat gegen einen 
wehrlosen Greis kam ihm ebensowenig zum Bewußtsein, wie die sinn- 
lose Torheit eines Verbrechens, das an der bestehenden politischen Ord- 
nung schlechterdings nichts bessern kornte. Auch die Todsünde des neun- 
zehnten Jahrhunderts wirkte mit, jener impotente Größenwahnsinn, der 
  
7) Sand, Stammbuchblatt für einen Freund im Vogtlande, Jena 21. Juni 1818.
	        
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