Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

550 II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse. 
klärte: „mit einer Kritik der Vorschläge, welche von dieser Restitution ab— 
mahnen, wollen wir den gegenwärtigen Augenblick nicht entweihen.“ Der 
große Gedanke erwies sich aber als gänzlich unausführbar, da die Kirchen- 
güter seit Jahren eingezogen und mit dem Kammergute verschmolzen 
waren. So sollte ferner neben dem Ministerium noch ein Geheimer 
Rat bestehen, die Staatsschuldenkasse durch ständische Beamte verwaltet 
werden, ein stehender Ausschuß des Landtags in Stuttgart tagen, eine 
kleine ständische Kasse dem Landtage, aber nur für seinen eigenen Auf— 
wand, zur Verfügung stehen — lauter Uberbleibsel von altwürttem- 
bergischen Einrichtungen, welche die moderne Verwaltung nur erschweren 
konnten ohne die Macht des Landtags zu verstärken. Für die Ohnmacht 
der zweiten Kammer hatte der schwäbische Kirchturmsgeist gesorgt. Da 
keines der 64 Oberämter auf einen eigenen Vertreter verzichten wollte, 
so ergab sich, mit den Vertretern der Ritterschaft, der Geistlichkeit, der 
sieben guten Städte, die gewaltige Zahl von vierundneunzig Abgeord- 
neten, deren große Mehrheit notwendig aus harmlosen Naturen be- 
stehen mußte. König Wilhelm durfte sich mithin der angenehmen Hoff- 
nung hingeben, daß er in seinem streng zentralisierten Staate das ge- 
wohnte stramm bureaukratische Regiment auch fürderhin unbelästigt werde 
fortführen können. Die Preßfreiheit wurde versprochen, „jedoch unter 
Beobachtung der gegen die Mißbräuche bestehenden oder künftig zu er- 
lassenden Gesetze“. Erst aus schmerzlichen Erfahrungen sollte das Volk 
lernen, daß mit solchen hochtönenden Verheißungen allgemeiner „Grund- 
rechte“ in Wahrheit gar nichts gesagt, ja selbst die Zensur nicht geradezu 
beseitigt war. Zum Uberfluß bestimmte der Art. 3, daß alle organi- 
schen Beschlüsse des Bundestags, wie billig, auch für Württemberg gelten 
sollten. 
Trotz alledem ließen sich's die Württemberger nicht nehmen, daß ihr 
Grundgesetz das freisinnigste Deutschlands sei. Die Verfassung stand, 
gleich der badischen, mitteninne zwischen dem altständischen und dem Re- 
präsentativsysteme, da mindestens die Abgeordneten der Oberämter in 
der zweiten Kammer das gesamte Volk, mit Ausnahme des Adels und 
der Geistlichkeit, vertraten; sie besaß überdies in dem stehenden Landtags- 
ausschusse eine eigentümliche Institution, welche sich zwar praktisch wenig 
bewährte, aber den Tagesmeinungen als ein furchtbares Bollwerk der 
Volksrechte erschien. Das Volk hatte durch zahlreiche, namentlich gegen 
das Zweikammersystem gerichtete Petitionen seine Teilnahme an den 
Arbeiten des Landtags bewiesen. Die merkwürdigste dieser Bittschriften 
war eine Eingabe der allzeit gut deutsch gesinnten Reutlinger, welche 
— zum ersten Male in dieser stillen Zeit — die Einberufung eines 
deutschen Parlaments forderte, weil „nur so alle deutschen Staaten sich 
einer wirklichen Repräsentativ-Verfassung erfreuen könnten“. Unter stür- 
mischem Jubel beschwor der Monarch am 25. September die Verfassung;
	        
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