Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

50 II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre. 
Schinkel in den gotischen Formen, die noch immer als die nationalen 
galten, entworfen; nur in den Skulpturwerken, womit Rauch und Tieck 
die Säule schmückten, entfaltete sich die Freiheit des neuen klassischen 
Stiles. Auf allen den Schlachtfeldern aber, wo Preußens Heere ge— 
schlagen hatten, auf dem Windmühlenberge von Großbeeren wie auf dem 
hohen Totenhügel bei Plancenoit in der brabantischen Ebene errichtete 
der verarmte Staat überall die nämliche kümmerliche gotische Spitzsäule 
mit der Inschrift: „Die gefallenen Helden ehrt dankbar König und Vater— 
land. Sie ruhen in Frieden.“ Schinkel wußte, daß die monumentale 
Kunst ein Treibhausleben führt so lange das Alltagstreiben des Volkes 
schmucklos und häßlich bleibt. Er sah mit Schmerz den nüchternen Ka— 
sernenstil der Bürgerhäuser, den armseligen Hausrat der engen Zimmer. 
Wie kläglich lag das deutsche Kunstgewerbe darnieder, das einst so rühm— 
lich mit den Italienern gewetteifert hatte; zu jeder größeren künstlerischen 
Unternehmung mußte man Arbeiter aus der Fremde herbeirufen, Stein— 
metzen aus Carrara, Kupferstecher aus Mailand, Erzgießer aus Frank— 
reich. Er aber fühlte sich stolz als der Apostel der Schönheit unter den 
nordischen Völkern und gab daher, nachdem im Jahre 1821 das Berliner 
Gewerbe-Institut gegründet war, im Verein mit dem genialen Techniker 
Beuth die Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker heraus, eine Samm— 
lung von Musterblättern für häusliches Gerät, die in unzähligen Nach— 
bildungen allmählich bis in jede Werkstatt drangen und zuerst den For— 
mensinn im deutschen Handwerk wieder erweckten, mochten immerhin ein— 
zelne Muster dem malerisch gestimmten modernen Auge allzu kahl und 
einfach erscheinen. 
Unterdessen hatte Rauch in dem alten Markgrafenschlosse, dem Lager— 
hause, seine Werkstatt aufgeschlagen und erzog dort, ein gestrenger Lehrer, 
einen Stamm von treuen Schülern und geübten Kunsthandwerkern, also 
daß die deutsche Kunst allmählich der fremden Hilfe entraten lernte. 
Wie er selber ohne wissenschaftliche Vorbildung erst durch das künstlerische 
Schaffen selbst in die Welt der Ideen hineingewachsen war, so sah er 
auch bei seinen Schülern allein auf das Können; tüchtige Klempner, Stein- 
metzen, Holzschneider von sicherem Blick und geschickter Hand waren ihm 
willkommener als junge Gelehrte. Vor jener Uberbildung, die unsere 
Dichter nicht selten auf Abwege führte, blieb die Bildnerkunst bewahrt. 
Fest und sicher schritt Rauch in dem angehobenen Gange fort; die teu- 
tonischen Träume beirrten ihn nie. Er fühlte sich eins mit dem preußischen 
Staate und seinem Herrscherhause, und ihm wurde das seltene Glück, in 
seinen Kunstwerken zugleich seine politischen Ideale, alles was seinem Herzen 
teuer war zu verkörpern. Welch ein Segen doch, daß die ganze Nation 
sich endlich wieder gemeinsam eines großen Erfolges freuen durfte. Wäh- 
rend früherhin nur die Landesherren zuweilen ein Denkmal errichtet hatten, 
erwachte jetzt im Volke selber der Wunsch seine Helden zu ehren. Zuerst
	        
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