Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

damit noch nicht Alles geschehen. Die Sache ist schon tief eingewurzelt, 
durch Irrlehren die Jugend schon sehr angesteckt. In vielen Staaten, 
meine nicht ausgenommen, viele Staatsdiener aller Klassen, selbst Minister 
davon angesteckt gefunden, werde mich nun aber ernstlich damit beschäf— 
tigen.““) Nun brachte fast jede neue Post schlimme Nachrichten von den 
Fortschritten der Revolution in Spanien und Italien, und überall hatte 
das Zauberwort „Verfassung“ die bewaffnete Macht zum Bruche des 
Fahneneides verführt: durften solche Gräuel unter den schwarzundweißen 
Fahnen möglich werden? Ohne nähere Kenntniß von allen den Sünden 
des bourbonischen Regiments, welche die Thorheiten der Revolution nur 
zu leicht erklärten, sah der König in dieser wilden Bewegung eines ver— 
zweifelnden Volkes nur eine wüste Empörung und fand es ganz in der 
Ordnung, daß Oesterreich die Ruhe in Italien wiederherstellen wollte. 
Eine neue Zusammenkunft der Monarchen in Troppau war bereits ver— 
abredet. Noch häufiger als sonst in den freudlosen Tagen seiner Wittwer— 
einsamkeit ward er jetzt von Anfällen verzagten Trübsinns überwältigt. 
Er fühlte sich müde und mit fünfzig Jahren schon alt — wie viele schwere 
Schickungen hatte er auch in dem Vierteljahrhundert seiner Regierung 
ertragen müssen! — und zuweilen, wie schon in früheren Jahren, dachte 
er ernstlich daran, die Bürde dieser Krone niederzulegen, den Abend seines 
Lebens in ländlicher Stille, seinen Neigungen gemäß, zu verbringen.“) 
Die Geschäfte ekelten ihn oft an, und es kostete Mühe, ihn nur zur Ab- 
reise nach Troppau zu bewegen.) 
In solcher Stimmung, verdrießlich und muthlos, richtete der König, 
kurz bevor Hardenberg nach Troppau abreiste, ein eigenhändiges Schreiben 
an den Staatskanzler und forderte ihn auf, sich nochmals über die Ver- 
fassungssache auszusprechen.) Damit erhielt Hardenberg das erste be- 
stimmte Anzeichen, daß der König an dem Verfassungswerke bereits zu 
verzweifeln begann; denn mit der Communalordnung fielen auch die 
Reichsstände, wenn nicht ein entschlossener Wille die ganze Arbeit von 
vorn begann. Der Kanzler sah, was auf dem Spiele stand und sendete 
zur Antwort eine ausführliche Denkschrift. Er schrieb französisch, ohne 
Zweifel, weil er voraussah, daß der König in Troppau die Frage mit 
den beiden Kaisern erörtern würde.#—) Noch einmal entwickelte er hier 
den Plan seines Zweikammersystems: eine erste Kammer, gebildet aus 
den Standesherren, der hohen Geistlichkeit, einigen Abgeordneten des Adels 
und einer bestimmten Anzahl von Männern des königlichen Vertrauens; 
  
*) Stockhorns Bericht, 25. April 1821. “) Hardenberg's Tagebuch, 11. Nov. 
1820. 'k“) Hardenberg's Tagebuch, 25. Okt. 1820. +)Hardenberg's Tagebuch, 
5. Nov. 1820. #Das Original dieser Denkschrift ist kürzlich von A. Stern auf- 
gefunden worden (Forschungen zur D. Gesch. 26, 321). Ihr wesentlicher Inhalt war 
schon früher bekannt, da Hardenberg die Hauptsätze derselben, deutsch übersetzt, in seinem 
Berichte vom 2. Mai 1821 wörtlich wieder anführte.
	        
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