Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Kronprinz Friedrich Wilhelm. 119 
empfänglich Alles in sich aufnahm was nur die Erde an Schönem und 
Gutem trug; kein Gebiet des Wissens war ihm fremd, alle Höhen und 
Tiefen des Lebens berührte er mit beredten Worten, immer geistvoll, immer 
eigenthümlich. Wenn er in öffentlicher Versammlung sprach, dann be— 
zauberte er Alles, ein geborener Redner, durch den Wohllaut seiner hellen 
Stimme, durch den Schwung seiner Gedanken und den Adel einer form— 
vollendeten Sprache. Sein Humor bewegte sich im bitteren Sarkasmus 
ebenso frei wie im harmlosen Spaße, und schon damals pflegten die 
Berliner jeden guten Witz, der in der Stadt umlief, dem Kronprinzen 
zuzuschreiben. Bei den Sommerfesten auf der Pfaueninsel konnte er noch 
ganz so unbändig, in kindlichem Frohsinn mit den Geschwistern tollen und 
toben wie einst da er sich in dem kleinen Garten zu Memel mit dem jungen 
Argelander gerauft hatte. Vor Fremden zeigte er ein starkes persönliches 
Selbstgefühl, ein lebendiges Bewußtsein seiner königlichen Würde; weiche 
Naturen wie Steffens fühlten sich ganz bewältigt von der kühnen Sicher— 
heit seines Auftretens. Wenn er aber einer gleichgestimmten Seele sein 
Herz erschloß, dann rauschten ihm die Bekenntnisse von den Lippen, ein 
mächtiger Strom der Liebe, der Frömmigkeit, der Begeisterung. Wie 
jubelte Bunsen über den Reichthum dieses „königlichen und kindlichen 
Gemüths“, da er mit dem Prinzen einige Tage lang allein durch Italien 
gereist war. Als Graf Gröben, der neu ernannte Generalstabschef des 
Kronprinzen, seinen Dienst antrat, setzte sich der Prinz mit ihm an einem 
schönen Sommerabend zu Charlottenburg in den Wagen, und als man 
früh um fünf Uhr in Königsberg i. N. hielt, hatte das Gespräch noch 
nicht einen Augenblick gestockt, und der neue Begleiter war seinem jungen 
Herrn für das ganze Leben gewonnen.“) 
Und doch mangelte diesem glänzenden Geiste, der so viele bedeutende 
Männer dämonisch anzog, das ursprüngliche schöpferische Vermögen und 
damit das Geheimniß aller Menschengröße, die innere Einheit. In der 
reichen Fülle seiner Gaben war keine von wahrhaft genialer Mächtigkeit, 
keine welche die anderen alle beherrscht und dem ganzen Leben eine gerade 
Bahn gewiesen hätte. Nicht wie ein Erzbild, aus vielen Metallen in 
eines verschmolzen, erscheint sein Charakter in dem Spiegel der Geschichte, 
sondern wie ein kunstvoll zusammengefügtes Mosaikgemälde. Darin lag 
die Herrschergröße der Hohenzollern seit dem großen Kurfürsten, daß sie 
alle, die großen wie die kleinen, einfache Menschen waren, die in dem 
Wirrwarr der deutschen Dinge ein klar erkanntes Ziel mit zäher Aus— 
dauer verfolgten: — denn auch in Friedrich's des Großen zwiegetheiltem 
Geiste war doch der deutsche Staatsmann unvergleichlich stärker als der 
französische Schöngeist. Jetzt zum ersten male erschien auch in diesem 
Fürstenhause ein widerspruchsvoller problematischer Charakter, dem das 
  
*) Nach Graf Gröben's Aufzeichnungen (1824).
	        
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