Kronprinz Friedrich Wilhelm. 119
empfänglich Alles in sich aufnahm was nur die Erde an Schönem und
Gutem trug; kein Gebiet des Wissens war ihm fremd, alle Höhen und
Tiefen des Lebens berührte er mit beredten Worten, immer geistvoll, immer
eigenthümlich. Wenn er in öffentlicher Versammlung sprach, dann be—
zauberte er Alles, ein geborener Redner, durch den Wohllaut seiner hellen
Stimme, durch den Schwung seiner Gedanken und den Adel einer form—
vollendeten Sprache. Sein Humor bewegte sich im bitteren Sarkasmus
ebenso frei wie im harmlosen Spaße, und schon damals pflegten die
Berliner jeden guten Witz, der in der Stadt umlief, dem Kronprinzen
zuzuschreiben. Bei den Sommerfesten auf der Pfaueninsel konnte er noch
ganz so unbändig, in kindlichem Frohsinn mit den Geschwistern tollen und
toben wie einst da er sich in dem kleinen Garten zu Memel mit dem jungen
Argelander gerauft hatte. Vor Fremden zeigte er ein starkes persönliches
Selbstgefühl, ein lebendiges Bewußtsein seiner königlichen Würde; weiche
Naturen wie Steffens fühlten sich ganz bewältigt von der kühnen Sicher—
heit seines Auftretens. Wenn er aber einer gleichgestimmten Seele sein
Herz erschloß, dann rauschten ihm die Bekenntnisse von den Lippen, ein
mächtiger Strom der Liebe, der Frömmigkeit, der Begeisterung. Wie
jubelte Bunsen über den Reichthum dieses „königlichen und kindlichen
Gemüths“, da er mit dem Prinzen einige Tage lang allein durch Italien
gereist war. Als Graf Gröben, der neu ernannte Generalstabschef des
Kronprinzen, seinen Dienst antrat, setzte sich der Prinz mit ihm an einem
schönen Sommerabend zu Charlottenburg in den Wagen, und als man
früh um fünf Uhr in Königsberg i. N. hielt, hatte das Gespräch noch
nicht einen Augenblick gestockt, und der neue Begleiter war seinem jungen
Herrn für das ganze Leben gewonnen.“)
Und doch mangelte diesem glänzenden Geiste, der so viele bedeutende
Männer dämonisch anzog, das ursprüngliche schöpferische Vermögen und
damit das Geheimniß aller Menschengröße, die innere Einheit. In der
reichen Fülle seiner Gaben war keine von wahrhaft genialer Mächtigkeit,
keine welche die anderen alle beherrscht und dem ganzen Leben eine gerade
Bahn gewiesen hätte. Nicht wie ein Erzbild, aus vielen Metallen in
eines verschmolzen, erscheint sein Charakter in dem Spiegel der Geschichte,
sondern wie ein kunstvoll zusammengefügtes Mosaikgemälde. Darin lag
die Herrschergröße der Hohenzollern seit dem großen Kurfürsten, daß sie
alle, die großen wie die kleinen, einfache Menschen waren, die in dem
Wirrwarr der deutschen Dinge ein klar erkanntes Ziel mit zäher Aus—
dauer verfolgten: — denn auch in Friedrich's des Großen zwiegetheiltem
Geiste war doch der deutsche Staatsmann unvergleichlich stärker als der
französische Schöngeist. Jetzt zum ersten male erschien auch in diesem
Fürstenhause ein widerspruchsvoller problematischer Charakter, dem das
*) Nach Graf Gröben's Aufzeichnungen (1824).