Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

144 III. 3. Troppau und Laibach. 
Ergüsse der alten Emigrantenthorheit erinnerte. Sie forderte feierlich 
den gemeinsamen Krieg der Großmächte wider die höllische Sekte, die 
von jeher in Frankreich ihr Nest gehabt; einen solchen Krieg beginnen 
heiße nicht ein Volk knechten, sondern ein geknechtetes Volk dem Joche 
entreißen. Was sei die Charte denn andres als die Verfassung von 
Sieyes? Zum Schluß ward noch die ganze Fabelwelt der reaktionären 
Gespensterseher heraufbeschworen und mit grellen Farben geschildert, wie 
der Vater aller revolutionären Sekten, der Freimaurerorden stets die Bour- 
bonen als das älteste aller Fürstenhäuser am bittersten gehaßt und schon 
Cagliostro auf seinem Maurer-Taschenbuche die Buchstaben L. P. C. — 
Lilia pedibus calca — geführt habe.“) 
So fanatischen Feinden gegenüber konnten auch die gemäßigten Parteien 
ihr Blut nicht mehr bändigen. Die gesammte Presse der Opposition hallte 
wider von schadenfrohem Gelächter, als Aug. Thierry und Guizot eben jetzt 
in zwei geistreichen Schriften zu erweisen versuchten, daß die französische 
Nation seit dreizehn Jahrhunderten in zwei tief verfeindete Stämme, den 
fränkischen Adel und den gallo-römischen Tiers-état zerspalten sei — eine 
blendende Halbwahrheit, welche allerdings der historischen Forschung einen 
neuen Gedankenkreis erschloß, aber in den Parteikämpfen des Tages fast 
wie ein Aufruf zum Bürgerkriege klang. Der instinktive Haß der bürger- 
lichen Klassen gegen die Restauration, die ihnen als Herrschaft des Aus- 
lands galt, sah sich wissenschaftlich gerechtfertigt seit also das Köstlichste was 
Frankreich besaß, seine unzerstörbare nationale Einheit in Frage gestellt 
wurde. Den tiefsten Grund der Unwahrheit des französischen Parlamen- 
tarismus erkannten die beiden geistvollen Historiker ebensowenig wie die 
anderen Liberalen. Beide fühlten zwar, wie mächtig der Bonapartismus 
noch in allen Anschauungen der Franzosen fortwirkte, und Thierry sprach 
sogar mit warmen Worten von der Gemeindefreiheit, aber er gelangte nicht 
zu der Einsicht, daß die bureaukratische Verwaltungsordnung Napoleons, 
die doch unzweifelhaft national war und mit den Lebensgewohnheiten des 
Volkes immer fester verwuchs, sich mit constitutionellen Verfassungsformen 
niemals ehrlich vertragen konnte. 
In diesen Hader der Parteien hinein fiel nun plötzlich die erstaunliche 
Nachricht, daß die Wittwe des ermordeten Herzogs am 29. Sept, einen 
Sohn geboren hatte. Durch ein Wunder des Himmels war noch einmal 
aus dem alten Bourbonenstamme ein frisches Reis ausgeschlagen. Die 
Ultras sahen den Finger Gottes aus den Wolken herniederwinken und 
begrüßten das Kind Frankreichs, das Kind Europas mit denselben über- 
schwänglichen Schmeichelreden, welche zehn Jahre zuvor an der Wiege 
des Königs von Rom erklungen waren. Ihr Ch. Nodier schrieb: „das 
erste Lächeln, das seine Lippen am Tage der Taufe verklärt, wird eine 
  
*) Bergasse, Dentschrift für Kaiser Alexander, Paris 1. Sept. 1820.
	        
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