144 III. 3. Troppau und Laibach.
Ergüsse der alten Emigrantenthorheit erinnerte. Sie forderte feierlich
den gemeinsamen Krieg der Großmächte wider die höllische Sekte, die
von jeher in Frankreich ihr Nest gehabt; einen solchen Krieg beginnen
heiße nicht ein Volk knechten, sondern ein geknechtetes Volk dem Joche
entreißen. Was sei die Charte denn andres als die Verfassung von
Sieyes? Zum Schluß ward noch die ganze Fabelwelt der reaktionären
Gespensterseher heraufbeschworen und mit grellen Farben geschildert, wie
der Vater aller revolutionären Sekten, der Freimaurerorden stets die Bour-
bonen als das älteste aller Fürstenhäuser am bittersten gehaßt und schon
Cagliostro auf seinem Maurer-Taschenbuche die Buchstaben L. P. C. —
Lilia pedibus calca — geführt habe.“)
So fanatischen Feinden gegenüber konnten auch die gemäßigten Parteien
ihr Blut nicht mehr bändigen. Die gesammte Presse der Opposition hallte
wider von schadenfrohem Gelächter, als Aug. Thierry und Guizot eben jetzt
in zwei geistreichen Schriften zu erweisen versuchten, daß die französische
Nation seit dreizehn Jahrhunderten in zwei tief verfeindete Stämme, den
fränkischen Adel und den gallo-römischen Tiers-état zerspalten sei — eine
blendende Halbwahrheit, welche allerdings der historischen Forschung einen
neuen Gedankenkreis erschloß, aber in den Parteikämpfen des Tages fast
wie ein Aufruf zum Bürgerkriege klang. Der instinktive Haß der bürger-
lichen Klassen gegen die Restauration, die ihnen als Herrschaft des Aus-
lands galt, sah sich wissenschaftlich gerechtfertigt seit also das Köstlichste was
Frankreich besaß, seine unzerstörbare nationale Einheit in Frage gestellt
wurde. Den tiefsten Grund der Unwahrheit des französischen Parlamen-
tarismus erkannten die beiden geistvollen Historiker ebensowenig wie die
anderen Liberalen. Beide fühlten zwar, wie mächtig der Bonapartismus
noch in allen Anschauungen der Franzosen fortwirkte, und Thierry sprach
sogar mit warmen Worten von der Gemeindefreiheit, aber er gelangte nicht
zu der Einsicht, daß die bureaukratische Verwaltungsordnung Napoleons,
die doch unzweifelhaft national war und mit den Lebensgewohnheiten des
Volkes immer fester verwuchs, sich mit constitutionellen Verfassungsformen
niemals ehrlich vertragen konnte.
In diesen Hader der Parteien hinein fiel nun plötzlich die erstaunliche
Nachricht, daß die Wittwe des ermordeten Herzogs am 29. Sept, einen
Sohn geboren hatte. Durch ein Wunder des Himmels war noch einmal
aus dem alten Bourbonenstamme ein frisches Reis ausgeschlagen. Die
Ultras sahen den Finger Gottes aus den Wolken herniederwinken und
begrüßten das Kind Frankreichs, das Kind Europas mit denselben über-
schwänglichen Schmeichelreden, welche zehn Jahre zuvor an der Wiege
des Königs von Rom erklungen waren. Ihr Ch. Nodier schrieb: „das
erste Lächeln, das seine Lippen am Tage der Taufe verklärt, wird eine
*) Bergasse, Dentschrift für Kaiser Alexander, Paris 1. Sept. 1820.