Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Italien und die Großmächte. 155 
Entschluß, diesen Aufruhr um jeden Preis niederzuwerfen.)) Er sah 
nicht nur die Machtstellung Oesterreichs in dem einen ihrer beiden 
mitteleuropäischen Bollwerke bedroht, er durfte sich auch über Verletzung 
der Verträge beschweren, da die italienischen Bourbonen ihm in dem 
geheimen Wiener Vertrage vom 12. Juni 1815 versprochen hatten, ihre 
alten monarchischen Institutionen nicht zu verändern. Mit rastlosem Eifer 
bereitete er seinen Gegenschlag vor. Selbst der Verlust einer zweiten 
Tochter, der ihn in diesem Frühjahr getroffen hatte, lähmte ihm die That- 
kraft nicht, obgleich er im häuslichen Leben nicht ohne Gemüth war und 
die zweifache Heimsuchung schwer empfand. Bei dem kläglichen Zustande 
des Heeres und des Staatshaushaltes schritten die Rüstungen freilich sehr 
langsam vorwärts; es währte viele Wochen, bis die Garnisonen in dem 
unruhigen Oberitalien genügend verstärkt waren, und dann noch mehrere 
Monate, bis man den Kreuzzug nach Unteritalien wagen konnte. Metternich 
mußte dies wissen; die Unwahrheit war ihm aber schon so zur andern 
Natur geworden, daß er sich nicht enthalten konnte, selbst in einem Privat- 
briefe, wo die Lüge gar keinen Zweck hatte, mit dem ruhigen und doch 
raschen Vorschreiten der Rüstungen Oesterreichs zu prahlen. Auch bei 
Leipzig, fuhr er fort, habe dies bescheidene alte Oesterreich zwei Drittel 
des gesammten verbündeten Heeres auf das Schlachtfeld gestellt, während 
sich in Wahrheit unter den 255,000 Mann der Verbündeten nur etwa 
100,000 Oesterreicher befunden hatten. Zum würdigen Abschluß seines 
Selbstlobes fügte er noch hinzu: „wir sind recht schlechte Marktschreier!“ 
Doch was verschlug es, wenn die Rüstung sich etwas verspätete? 
Der Ausgang eines Krieges gegen Neapel war um so weniger zweifelhaft, 
da die Stimmung der großen Mächte den Plänen der Hofburg zu statten 
kam. Die italienische Revolution wurde an allen Höfen von Haus aus 
ungleich härter verurtheilt als die spanische Erhebung, schon weil die 
Regierung von Neapel bei Weitem nicht so übel berufen war wie die allgemein 
mißachtete Madrider Camarilla. Inmitten der streitenden Interessen und 
der wechselseitigen Eifersucht unserer Staatengesellschaft kann jede Nation 
nur durch die vollendete That das Recht ihres Daseins erweisen und sich 
die Achtung der Nachbarn erzwingen. Da der Bau der Wiener Verträge 
auf der politischen Nichtigkeit der beiden Culturvölker Mitteleuropas ruhte, 
so galt es unter den Staatsmännern dieses Zeitalters jahrzehntelang als 
ein Glaubenssatz, daß die Italiener zu nationaler Selbständigkeit gänzlich 
unfähig seien. Und leider thaten auch die preußischen Diplomaten das 
Ihre um dies allgemeine Vorurtheil zu nähren; sie ahnten nicht, daß alle 
Ausländer, aus dem nämlichen Grunde, ganz ebenso lieblos und ungerecht 
über die politische Fähigkeit der Deutschen sprachen. Der englische Gesandte 
2Aourt schilderte die Bewegung, die doch von den besitzenden Klassen aus- 
  
*) Krusemark's Bericht, 2. Aug. 1820.
	        
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