Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Niebuhr in Rom. 203 
Verhandlungen mit der Curie führen entweder sehr leicht oder niemals 
zum Ziele; und warnte vor dem aussichtslosen Versuche, durch Gründe 
oder durch Drohungen ein päpstliches non possumus erschüttern zu wollen. 
Trotz dieser scharfen Einsicht täuschte er sich doch, wie die meisten der 
Zeitgenossen, über die Lebenskraft und die letzten Absichten des wieder— 
hergestellten Papstthums. Wenn er diesen ehrwürdigen, sanften Hohen— 
priester betrachtete und das ziemlich bescheidene Maß der geistigen Kräfte im 
Vatican, die zweifelhafte Gelehrsamkeit des großen philologischen Kirchen— 
lichts Cardinal Mai und die unzweifelhafte wissenschaftliche Unschuld der 
meisten anderen Monsignoren, dann meinte er eine versinkende Macht vor 
sich zu haben, die sich in zunehmender Harmlosigkeit bis zu ihrem nahen 
Untergange noch eine Weile hinschleppen werde, und wies den Verdacht 
weit von sich, als ob dies schwache Papstthum sich jemals erdreisten könnte, 
eine vom Könige verworfene Bischofswahl zu bestätigen. Eben in den 
Tagen, da der papa nero, der Jesuitengeneral, wieder dem papa bianco 
an die Seite getreten war, konnte Niebuhr schreiben: der Rost hat die 
geistlichen Waffen Roms verzehrt, und die Hand, welche sie einst schwang, 
zittert in Altersschwäche. Auf Augenblicke beunruhigten ihn wohl die 
ersten Lebenszeichen des neu erwachten „erzpfäffischen, geradehin jesuitischen 
Katholicismus“. Gleichwohl hielt er ein günstiges Concordat für möglich, 
wenn der Staat sich nur in Formfragen nachgiebig zeige und der Curie 
ohne Mißtrauen begegne; dann könne man selbst zu einer Verständigung 
über die gemischten Ehen gelangen. 
Da die Ansichten im Schooße der Regierung selbst noch so wirr 
durcheinander gährten, so schien es dem Staatskanzler rathsam, die Ver— 
einbarung mit dem römischen Stuhle nicht zu übereilen. Auch die Arbeits— 
last der ersten Uebergangsjahre und die Einrichtung des neuen Cultus— 
ministeriums verzögerten den Beginn der Verhandlungen. Niebuhr freilich 
befand sich in dieser langen Zwischenzeit sehr unbehaglich, auch die Bischöfe 
von Paderborn und Corvey beschwerten sich lebhaft über die endlose 
Ungewißheit. Der Krone aber gereichte dies Zaudern zum Vortheil, denn 
sie gewann Zeit, sich in der neuen Lage zurechtzufinden und aus den 
Erfahrungen der anderen Staaten, die in Rom unterhandelten, die Ge— 
sinnung des heiligen Stuhles kennen zu lernen. Und diese Erfahrungen 
waren in der That sehr lehrreich. Baiern verstand sich zu jenem unglück— 
lichen Concordate, dessen Ausführung noch jahrelang streitig blieb; bald 
darauf schloß Neapel einen Vertrag mit Rom, der die Rechte der Staats— 
gewalt sogar noch enger begrenzte, und das neue durch Graf Blacas 
vereinbarte französische Concordat erregte in den Kammern so stürmischen 
Unwillen, daß die Krone selbst es nicht aufrecht zu halten wagte. Noch 
deutlicher redete eine Denkschrift, welche Cardinal Consalvi am 2. Sept. 
1817 dem hannöverschen Gesandten übergab. Hier ward dem Staate 
jedes Recht der Oberaufsicht über die Kirche als „eine reine politische
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.