232 III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
Hardenberg's Plänen stand und darum fortan den Verfassungsberathungen
fern gehalten wurde. Auf einer Reise durch die westlichen Provinzen, die er
im Laufe des Sommers im Gefolge des Monarchen unternahm, bemerkte
er zwar mit Freude, wie sein verstimmter königlicher Herr wieder aufzu-
thauen begann. Der Empfang am Rhein war überall sehr herzlich, die
getreuen Altpreußen in Crefeld und den niederrheinischen Landen schwelgten
in patriotischer Begeisterung, und selbst die hartgläubigen Münsterländer,
die soeben erst die strenge Hand der paritätischen Staatsgewalt hatten
empfinden müssen, bewahrten mindestens den äußeren Anstand. Auch war
Friedrich Wilhelm noch immer keineswegs gesonnen allen Ansprüchen der
Altständischen zu willfahren; als ihn Bodelschwingh und seine Markaner
unterwegs wieder einmal um die vorläufige Herstellung ihres alten Land-
tags baten, wies er sie nochmals freundlich aber ernst zurück.)) Gleichwohl
entging dem Generaladjutanten nicht, wie argwöhnisch sein königlicher Freund
jetzt Alles betrachtete was nur irgend des Liberalismus verdächtig schien.
Selbst auf seine alten Bedenken gegen die Landwehr, denen er vor zwei
Jahren schon entsagt hatte, kam der König wieder zurück, und nach einem
peinlichen Gespräche schrieb Witzleben traurig: „wie würden unsere äußeren
Feinde, wie würde Oesterreich triumphiren, wenn wir unser Landwehr-
system aufgäben!“ In Ems ließ sich Stein bei dem Könige melden, und
Witzleben fühlte sich in tiefster Seele erquickt, als er aus den flammen-
den Worten des großen Mannes erkannte, wie vollständig sie Beide in
allen Staatsfragen übereinstimmten. Aber ein politisches Gespräch des
Freiherrn mit dem Monarchen hielt der General selber nicht für rathsam;
„Der König ist jetzt einmal von einer Idee ergriffen; eine bloße Unter-
redung kann keine Aenderung veranlassen, nur die Thatsachen können und
werden es leider.“““!) So begnügte sich Stein mit einem Anstandsbesuche,
der ihm indeß für die Monumenta Germaniae ein königliches Geschenk
einbrachte. —
Mittlerweile zeigte sich immer klarer, daß an jenem verhängnißvollen
11. Juni nicht eigentlich der Absolutismus über die liberale Idee, sondern
der Particularismus über die Staatseinheit triumphirt hatte. Die Dok-
trinen der guten alten Zeit von 1805 stiegen wieder aus dem Grabe,
romantisch ausgeschmückt nach dem Sinne des Kronprinzen; dieser in
Kämpfen ohne Gleichen zusammengeschmiedete preußische Einheitsstaat hieß
wieder ein Föderativstaat, ein mehrere Staaten umfassendes Staatenreich.
Kamptz vornehmlich vertheidigte diese Theorie, die sich auf das erbauliche
Beispiel der österreichischen Kronlande berief, mit seiner gewohnten fana-
tischen Hartnäckigkeit und trug sie noch ein Vierteljahrhundert später in
*) Eingabe von Bodelschwingh-Plettenberg und Deputirten der Grasschaft Mark,
4. Juli; Antwort des Königs, 13. Juli 1821.
"8) Witzleben's Tagebuch, Juni—Juli 1821.