Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

278 III. 5. Die Großmächte und die Trias. 
Reform auf allen Congressen mit allzu auffälliger Beflissenheit betrieben und 
selbst die britische Geschäftswelt sich mit einer fast fanatischen Heftigkeit 
gegen die Sclavenhändler aussprach. Die böse Welt konnte sich der Frage 
nicht erwehren, warum wohl die sonst so wenig weichmüthigen Kaufleute 
von London und Liverpool sich gerade der Neger so zärtlich annahmen? 
Die Antwort gaben die Handelslisten. Von der gesammten Kaffee-Einfuhr 
jener Zeit kam kaum der zwanzigste Theil aus den englischen Kolonien, 
von der Zucker-Einfuhr etwa ein Viertel. Das ungeheure britische Kolonial- 
reich besaß nur wenige für die Negerarbeit geeignete Pflanzungen, und 
diese waren längst mit Schwarzen überfüllt; die Abschaffung des Sclaven- 
handels konnte hier wenig Schaden stiften, während sie in den Kolonien 
der anderen Seemächte schwere wirthschaftliche Erschütterungen hervorrufen 
mußte. So verbarg sich denn hinter den schönen Reden christlicher Nächsten- 
liebe die minder christliche Absicht, Englands Mitbewerber gründlich zu 
schädigen. Canning selbst konnte nicht leugnen, daß dieser Argwohn, zumal 
in Frankreich, bestand, obwohl er ihm natürlich jede Berechtigung absprach. 
Die Großmächte und sogar das ganz unbetheiligte Preußen urtheilten 
anders. Als Wellington geradezu forderte, Frankreich solle seine Gesetze 
ändern, die durch die Charte aufgehobene Strafe der Confiscation gegen 
die Sclavenhändler wieder einführen, seine Kauffahrer der Durchsuchung 
durch fremde Kriegsschiffe preisgeben, da erwiderte der französische Bevoll- 
mächtigte sehr gereizt, und der Congreß begnügte sich, in einigen ganz 
allgemein gehaltenen Sätzen den Grundsatz der Abschaffung des Neger- 
handels noch einmal auszusprechen.) Besser begründet war Englands 
Beschwerde über die vertragswidrigen Rheinzölle der Holländer. Die Mächte 
beschlossen, gemeinsam in Brüssel Einspruch zu erheben, und auch Bernstorff 
schloß sich Anstandshalber an, obwohl das preußische Finanzministerium 
bereits gewillt war, die unbelehrbaren Nachbarn durch handgreiflichere 
Mittel an ihre Vertragspflichten zu erinnern. — 
Es war nicht anders, die große Allianz begann sich aufzulösen. Eng- 
land ging seines eigenen Weges, noch nicht offenbar feindselig, aber völlig 
selbständig, und Metternich wagte nicht mehr die Berufung eines neuen 
Congresses zu beantragen, obgleich der Kampf gegen die spanische Revo- 
lution erst eingeleitet, nicht ausgefochten war. Schwerlich war es ihm 
selber voller Ernst, wenn er die Freunde tröstete, das kalte Nein Welling- 
ton's bedeute nicht mehr als jene schwächlichen Noten, welche Castlereagh 
einst nach Troppau und Loaibach gesendet hatte. 
Einen besseren Trost — freilich nur einen Trost für den nächsten 
Tag — bot die griechische Frage, die nun wirklich, wie Gentz jubelte, in 
aller Stille begraben schien. Indem er dem Cezaren in der spanischen Sache 
  
*) Wellington, Denkschrift über den Sclavenhandel, 28. Nov.; französische Ant- 
wort, o. D.; preußische, 28. Nov. 1822.
	        
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