Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

284 III. 5. Die Großmächte und die Trias. 
er wäre, was er leider nicht ist, sich durch einen Erlaß von sechs Zeilen 
von dieser fatalen Verfassung hätte befreien können.“) 
Mittlerweile kam dem König von Württemberg Einiges über die 
Absichten der Großmächte zu Ohren; nach seiner Gewohnheit suchte er 
Hilfe bei dem russischen Schwager und bat ihn um eine vertrauliche Zu- 
sammenkunft. Schon mehrmals hatte er in den letzten Jahren das gleiche 
Gesuch an den Czaren gerichtet, immer vergeblich. Diesmal ward es gewährt. 
In den Weihnachtstagen trafen sich die beiden Schwäger zu Mittenwald im 
bairischen Gebirge, und König Wilhelm säumte nicht, durch seinen Ge- 
sandten in München erzählen zu lassen, wie freundlich der Czar ihn seines 
Schutzes versichert habe.*') In Wahrheit zeigte sich Alexander, sobald das 
Gespräch auf die politische Lage kam, sehr streng und hielt dem Könige 
vor, wie hochgefährlich es sei der großen Allianz den Rücken zu kehrenn.) 
Nachher sagte er zu Metternich: „ich habe diesen lieben Schwager nicht 
geschont, aber dieser Mann ist gänzlich verdorben und von den schlechtesten 
Grundsätzen durchdrungen.“) Verstimmt und mißtranisch trennten sich 
die beiden Verwandten. 
Nicht ohne Grund wünschten die beiden Großmächte eine klare Ver- 
ständigung über die Bundespolitik; denn in den jüngsten drei Jahren war 
am Bundestage eine Anarchie, die unmöglich dauern konnte, eingerissen. 
Jener Bund im Bunde, welchen das Manuscript aus Süddeutschland ge- 
predigt, schien sich zu verwirklichen, eine rührige Partei unter den Bundes- 
gesandten sammelte sich um das Banner der deutschen Trias. Das sichere, 
instinktive Verständniß für die wirklichen Mächte des politischen Lebens 
war unter den Deutschen von jeher seltener als unter den Engländern 
oder den Italienern, und wie krankhaft hatte sich während der letzten 
Jahrhunderte, unter der Herrschaft völlig verlogener Verfassungen, dieser 
nationale Fehler der politischen Phantasterei ausgebildet. Im heiligen 
Reiche wie im Deutschen Bunde war die Verfassung nicht die rechtliche 
Form der bestehenden Machtverhältnisse, sondern zwischen dem Rechte und 
der Macht klaffte ein so weiter Abgrund, daß nur sehr nüchterne Köpfe 
Schein und Wesen in der Staatskunst unterscheiden konnten und selbst 
bedeutende Köpfe auf politische Schrullen verfielen, die in jedem anderen 
Volke für kindisch gegolten hätten. Wie einst der geistreiche Joh. Christian 
v. Boyneburg alles Ernstes glaubte, daß sein Kurfürst Johann Philipp, 
*) Berichte von Zastrow, 31. Dec. 1822, 5. Jan. 1823; von Hatzfeldt, 8. Januar; 
von Blittersdorff, 15. Jan. 1823. 
**) Zastrow an den König, 19. Jan.; an Bernstorff, 9. Febr. 1823. 
*"F) An dies Gespräch ließ Kaiser Alegander den König späterhin durch den Ge- 
sandten v. Benckendorff, einen Ohrenzeugen der Mittenwalder Zusammenkunft, nachdrücklich 
erinnern. (Nesselrode, Weisung an Benckendorff, Petersburg " Feb. 1823.) 
) Hatzfeldt's Bericht, 8. Jan. 1823.
	        
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