Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

304 III. 5. Die Großmächte und die Trias. 
den bairisch-schwäbischen Landen. Nun gar Kurhessen und Thüringen 
wurden nur durch eine politische Schrulle, durch den Haß gegen Preußen, 
in diese süddeutsche Genossenschaft getrieben. Darum verhielt sich der 
Casseler Hof von vornherein unlustig und ablehnend. Die thüringischen 
Staaten begannen schon 1822 Sonderberathungen in Arnstadt, doch nahmen 
sie gleichzeitig an den Darmstädter Conferenzen Theil und belästigten das 
Berliner Cabinet mit nichtssagenden allgemeinen Anfragen — die baare 
Rathlosigkeit des Nichtwollens und Nichtkönnens. 
Und welch' ein Gegensatz der staatswirthschaftlichen Gesetze und An— 
sichten! In Baden verboten sich hohe Zölle von selbst, weil das gesammte 
Land nur aus Grenzbezirken bestand und die benachbarte Schweiz noch 
kein geordnetes Mauthwesen besaß. Die Regierung verstand die günstige 
Handelslage des Staates geschickt auszubeuten, sie begnügte sich mit sehr 
niedrigen Finanzzöllen, welche einen schwunghaften Durchfuhrhandel nach 
Baden lockten und den Staatskassen reichen Ertrag brachten. Die Groß- 
industrie konnte unter diesem Systeme freilich nicht Fuß fassen; sie galt 
im Finanzministerium für überflüssig. Auch das Volk vermißte sie nicht, 
da der Freihandel wohlfeile Fabrikwaaren vom Auslande brachte. Alle 
deutschen Nachbarn aber klagten laut; denn ein großartiger Schmuggel- 
handel trieb von Baden her, namentlich auf dem Schwarzwalde, sein 
Unwesen, fand bei der Regierung unziemliche Nachsicht; manche häßliche 
Scandalfälle, so der ungeheure Defraudationsproceß der Firma Renner, 
erinnerten an Köthensche Zustände. In Darmstadt herrschte noch ein ver- 
altetes physiokratisches System, das keine Grenzzölle kannte und fast den 
gesammten Staatsaufwand aus direkten Steuern und dem Ertrage der 
Domänen bestritt; der Mainzer Handelsstand, der die Donanen Napoleon's 
noch nicht vergessen konnte, beschwor die Regierung, sich vor dieser Pest zu 
hüten. In Nassau ging das herzogliche Domanium mit seinen herrlichen 
Rebgärten und Mineralwassern jedem anderen wirthschaftlichen Interesse 
vor. Daher hielt Marschall die Fabriken für staatsgefährlich, Grenzzölle 
zum mindesten für bedenklich und führte ein Accisesystem ein, was er den 
Nachbarn oft als ein finanzpolitisches Meisterwerk empfahl. Der mächtige 
Beamtenstand befand sich wohl bei der unnatürlichen Wohlfeilheit des 
Consums auf dem engen Markte; nach den Producenten fragte Niemand. 
Baiern dagegen besaß bereits in Franken und Schwaben die ersten An- 
fänge einer aufstrebenden Großindustrie; die bairischen Zölle standen im 
Durchschnitt etwas niedriger als die preußischen, brachten aber geringen 
Ertrag wegen der unverhältnißmäßigen Kosten der Grenzbewachung. Der 
württembergische Gewerbfleiß blieb hinter dem bairischen noch etwas zurück; 
die Stuttgarter Handelspolitik stand daher in der Mitte zwischen dem Frei- 
handel der Rheinuferstaaten und den schutzzöllnerischen Wünschen der 
bairischen Fabrikanten. 
So abweichende Richtungen zu versöhnen war unmöglich auf dem
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.