Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Schifffahrtsvertrag mit England. 469 
Statt der unbrauchbaren alten Schiffe wurden neue gebaut, in geringerer 
Zahl, aber stärker und von größerer Tragfähigkeit; im Jahre 1830 zählte 
die Handelsflotte wieder 643 gute Schiffe mit 75,079 Last. Immerhin 
blieb der Fortschritt sehr mühsam; von dem Schiffsverkehr der preußischen 
Häfen kam (1828) nur die Hälfte auf die heimische Flagge, mehr als ein 
Viertel der aus= und eingehenden Schiffe war englisch. — 
So erfreulich dies langsame Erstarken war, Motz wußte wohl, daß 
sein Staat weit Größeres leisten könnte, wenn er nur nicht überall durch 
die mißgünstige Handelspolitik seiner zahllosen Nachbarn gehemmt würde. 
Noch am günstigsten gestaltete sich, nach einigen Jahren der Feindseligkeit, 
das Verhältniß zu England. Da das Inselreich an der Navigationsakte 
Cromwell's hartnäckig festhielt und der Danziger Handel unter den englischen 
Schifffahrtsabgaben fast erlag, so griff Preußen zu Retorsionen und 
belegte (20. Juni 1822) die Schiffe aller Nationen, welche nicht volle 
Gegenseitigkeit gewährten, mit einem hohen Flaggengelde. Auf die Beschwerde 
des englischen Hofes gab man die kühle Antwort, in diese häusliche An- 
gelegenheit habe sich das Ausland nicht zu mischen. Der preußische 
Gesandte erklärte: nach der Ansicht seines königlichen Herrn seien gegen- 
seitige Handelsbeschränkungen nur gegenseitiges Unrecht; Preußens Politik 
gehe dahin, gegenseitige Erleichterungen an die Stelle der Beschränkungen 
zu setzen; jedoch der König verlange Reciprocität und werde im Nothfall 
die Flaggengelder noch erhöhen. Huskisson, der Präsident des Handels- 
amtes, bekannte, daß er der Sprache der Billigkeit nichts entgegen zu 
setzen wisse. Er sah, was auf dem Spiele stand; die englische Ausfuhr 
nach Preußen erreichte bereits einen Werth von mindestens 7 Mill. S., 
während Preußen kaum halb so viel nach England ausführte. 
Das entschlossene Auftreten des Berliner Hofes bot dem klugen Manne 
die erwünschte Handhabe, eine Reform der englischen Handelspolitik zu ver- 
suchen. Wohl regte sich im Parlamente wieder der altenglische unwissende 
Hochmuth; acht Jahre, nachdem die Preußen das Heer Wellington's bei 
Waterloo gerettet hatten, nannte ein Redner das preußische Flaggengelder- 
gesetz „den anmaßenden Machtspruch eines kleinen deutschen Fürsten“. 
Huskisson selber ahnte kaum, welche Macht der preußische Staat in seinem 
Innern barg; er meinte herablassend, es stehe der Würde Englands übel 
an, gegen den Schwachen ein anderes Recht als gegen den Starken anzu- 
wenden. Der anmaßende kleine deutsche Fürst setzte endlich seinen Willen 
durch. Das Parlament gab der Krone Vollmacht zu Reciprocitäts-Ver- 
trägen, und am 2. April 1824 ward zuerst mit Preußen ein Schifffahrts- 
vertrag auf zehn Jahre abgeschlossen, welcher die Flaggen beider Theile 
gleichstellte. Zwei Jahre darauf wurde diese Vergünstigung, welche England 
in Europa bisher nur seinem Schützling Portugal zugestanden hatte, auch 
dem preußischen Handel mit den Colonien gewährt. Nachher folgten 
in langer Reihe ähnliche Verträge mit anderen Handelsvölkern, die
	        
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