Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

484 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod. 
pflichtet. Der Plan, die Grenzbewachung allein in Preußens Hände 
zu legen, war mithin aufgegeben. Nur noch ein kleiner Schritt weiter, 
und man mußte erkennen, daß auch die doppelte Vereidigung der Zoll- 
beamten dem Dünkel der kleinen Höfe unerträglich sei, bloß eine gegen- 
seitige Controle der Zollverwaltung sich erlangen lasse. Preußen hatte 
sein letztes Wort noch nicht gesprochen; die Denkschrift verhehlte nicht, daß 
der Berliner Hof gefaßt sein müsse auf noch größere Zugeständnisse. „Wird 
nur der Zweck erreicht — die wirkliche Einführung des preußischen Zoll- 
und Consumtionssteuer-Systems und die Verfolgung der Contraventionen 
—, so kann man über Formalitäten, die durch öffentliche Unterordnung 
der jenseitigen Souveränitätsrechte anstößig werden dürften, leichter hin- 
weggehn.“ Zum Schluß wird ein wichtiger Gedanke entwickelt, den das 
preußische Cabinet fortan getreulich festhielt und weiter verfolgte: sollte 
Kurhessen nur gegenseitige Eingangsbegünstigungen wünschen, so wäre dies 
für Preußen, wegen unserer höheren Zölle, nicht bloß kostspieliger, sondern 
auch gefährlicher; die völlige Verschmelzung der beiden Zollsysteme bleibt 
in jeder Hinsicht vorzuziehen. — In der That, nicht die Höhe der Binnen- 
zölle lähmte den deutschen Handel, sondern das Dasein der Binnen- 
mauthen selber; jede Reform, die nicht an diese Wurzel des Uebels die 
Axt legte, blieb ein Mißgriff. 
Leider hatten diese verständigen Grundsätze für den Augenblick gar 
keine Wirkung; denn die Verfasser der Denkschrift hielten sich noch buch- 
stäblich an das Programm von 1819. Sie wollten in gerader Linie „von 
Grenze zu Grenze“ vorgehen, von dem nächsten Nachbar zu dem ent- 
fernteren. Was schien auch einfacher als der Plan, zunächst die angren- 
zenden Staaten zu gewinnen, die im unmittelbaren Bereiche der preu- 
ßischen Macht lagen, und dann erst zu versuchen, ob das geeinte Nord- 
deutschland vielleicht mit dem Süden sich verständigen könne? Und doch 
war dieser gerade Weg ganz ungangbar. Die Denkschrift selber gesteht, 
daß der allen Neuerungen abgeneigte Dresdner Hof sich, schon wegen der 
Leipziger Messen, dem preußischen Zollwesen fernhalten werde. Hannover, 
als ein Brückenkopf Englands, wird gar nicht erwähnt, ebenso wenig das 
dänische Holstein. Thüringen „ist auf Preußen angewiesen“, muß sich 
aber, wie in einem besonderen Promemoria ausgeführt wird, zuvörderst 
zu einem Vereine zusammenthun, der dem preußischen Zollsystem als 
„Vorland und Deckwerk“ dienen soll. Darmstadt „grenzt nicht an uns“, 
selbst sein Oberhessen kann nur in Betracht kommen, wenn Kurhessen 
gleichzeitig beitritt. — Nach Alledem blieb als nächstes erhebliches Ziel nur 
der Beitritt von Kurhessen sammt Waldeck, und sogar dies war uner- 
reichbar, denn der hessische Kurfürst zeigte, nachdem er es eine kurze Zeit 
mit einem verständigen Zollsysteme versucht hatte, dem großen Nachbar- 
staate bald wieder die alte Gehässigkeit. So lange in Berlin diese An- 
sichten vorherrschten, die offenbar mit dem alten unseligen Gedanken der
	        
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