Kurfürst Wilhelm II. 531
die Löwenburg hinaufgeführt, so erfolgte die erste befreiende That der neuen
Regierung, das Abschneiden der Zöpfe. Das Land frohlockte; zu hunderten
lagen die Symbole der schlimmen alten Zeit, ein Spiel der Gassenbuben,
auf dem Pflaster und in den Rinnsteinen der Hauptstadt. Ebenso freudig
berührte die Nachricht, daß der Bau der Kattenburg eingestellt sei; das
anspruchsvolle Gebäude blieb fortan, so lange der Kurstaat bestand, als
eine unheimliche Ruine liegen, Bettler und Landstreicher suchten Nachts ein
Obdach unter den hohen Gewölben. Noch im selben Jahre erschien eine
vom Ministerialrath Krafft entworfene Verwaltungsorganisation, welche das
Ländchen, nach der prahlerischen Weise der deutschen Kleinstaaten, in vier
Provinzen eintheilte, vier Regierungen, vier Finanzdirektionen und außer-
dem noch eine besondere schaumburgische Regierungsbehörde über eine Be-
völkerung von 600,000 Seelen stellte. Trotz ihrer Kostspieligkeit war die neue,
dem Muster Preußens nachgebildete Ordnung immerhin besser als die alte,
heilsam insbesondere die scharfe Trennung von Verwaltung und Rechtspflege.
Aber mit diesen Reformen gingen die löblichen Thaten Wilhelm's II.
zu Ende. Noch während der Huldigung zog die Ortlöpp mit ihren Kin-
dern in den Palast ihres Liebhabers ein") und genoß nunmehr, zur
Gräfin Reichenbach erhoben, alle Rechte einer kurfürstlichen Gemahlin. Die
Einberufung des Landtags unterblieb, obgleich die Ritterschaft mehrmals
darum mahnte. Im Genusse der unbeschränkten Selbstherrschaft und im
Verkehre mit dem verworfenen Gesindel, das sich an die Reichenbach anhing,
verwilderte der Kurfürst bald gänzlich; thierisch ward sein Jähzorn, Nie-
mand war vor seinen Mißhandlungen sicher, wenn er sich nicht das Herz
faßte, dem furchtsamen Wütherich selber mit der Faust zu antworten. Bald
kam es so weit, daß der Landesvater beständig eine Peitsche im Wagen
bei sich führte, und man war schon froh, wenn auf seinen Reisen durchs
Land weiter nichts vorfiel als „einige an verschiedene Postmeister höchst-
eigenhändig ausgetheilte Kantschuhiebe“. 7') Die Reichenbach selber mußte
auf ihrer Hut sein, und sie wußte sich zu helfen: wenn er sie angriff,
dann warf sie mit theuren Vasen und Tassen so lange um sich, bis der
Wüithende die Kostspieligkeit dieser Wurfgeschosse zu bemerken begann und
die Habsucht den Zorn besiegte. Sobald ein solcher Auftritt überstanden
war, konnte sie von ihrem Geliebten Alles erreichen. An ihrer Gunst sonnte
sich ihr Bruder, ein vollendeter Taugenichts, dem der Kurfürst zum Ent-
setzen seiner Ritterschaft den Namen der ausgestorbenen Freiherren Heyer
von Rosenfeld verlieh. Auch die altbefreundeten Rothschild's sahen ihren
Weizen blühen, da der Sohn vom Vater nur die Habgier, nicht den Geiz
geerbt hatte und trotz seiner Schätze immer freundlicher Aushilfe bedurfte,
die sein Vermögensverwalter Finanzrath Deines bei dem Frankfurter
Hause gewandt zu vermitteln wußte.
*) Hänlein's Bericht, 1. März 1821.
* F) So Hänlein, 21. Aug. 1824.