Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Kurfürst Wilhelm II. 531 
die Löwenburg hinaufgeführt, so erfolgte die erste befreiende That der neuen 
Regierung, das Abschneiden der Zöpfe. Das Land frohlockte; zu hunderten 
lagen die Symbole der schlimmen alten Zeit, ein Spiel der Gassenbuben, 
auf dem Pflaster und in den Rinnsteinen der Hauptstadt. Ebenso freudig 
berührte die Nachricht, daß der Bau der Kattenburg eingestellt sei; das 
anspruchsvolle Gebäude blieb fortan, so lange der Kurstaat bestand, als 
eine unheimliche Ruine liegen, Bettler und Landstreicher suchten Nachts ein 
Obdach unter den hohen Gewölben. Noch im selben Jahre erschien eine 
vom Ministerialrath Krafft entworfene Verwaltungsorganisation, welche das 
Ländchen, nach der prahlerischen Weise der deutschen Kleinstaaten, in vier 
Provinzen eintheilte, vier Regierungen, vier Finanzdirektionen und außer- 
dem noch eine besondere schaumburgische Regierungsbehörde über eine Be- 
völkerung von 600,000 Seelen stellte. Trotz ihrer Kostspieligkeit war die neue, 
dem Muster Preußens nachgebildete Ordnung immerhin besser als die alte, 
heilsam insbesondere die scharfe Trennung von Verwaltung und Rechtspflege. 
Aber mit diesen Reformen gingen die löblichen Thaten Wilhelm's II. 
zu Ende. Noch während der Huldigung zog die Ortlöpp mit ihren Kin- 
dern in den Palast ihres Liebhabers ein") und genoß nunmehr, zur 
Gräfin Reichenbach erhoben, alle Rechte einer kurfürstlichen Gemahlin. Die 
Einberufung des Landtags unterblieb, obgleich die Ritterschaft mehrmals 
darum mahnte. Im Genusse der unbeschränkten Selbstherrschaft und im 
Verkehre mit dem verworfenen Gesindel, das sich an die Reichenbach anhing, 
verwilderte der Kurfürst bald gänzlich; thierisch ward sein Jähzorn, Nie- 
mand war vor seinen Mißhandlungen sicher, wenn er sich nicht das Herz 
faßte, dem furchtsamen Wütherich selber mit der Faust zu antworten. Bald 
kam es so weit, daß der Landesvater beständig eine Peitsche im Wagen 
bei sich führte, und man war schon froh, wenn auf seinen Reisen durchs 
Land weiter nichts vorfiel als „einige an verschiedene Postmeister höchst- 
eigenhändig ausgetheilte Kantschuhiebe“. 7') Die Reichenbach selber mußte 
auf ihrer Hut sein, und sie wußte sich zu helfen: wenn er sie angriff, 
dann warf sie mit theuren Vasen und Tassen so lange um sich, bis der 
Wüithende die Kostspieligkeit dieser Wurfgeschosse zu bemerken begann und 
die Habsucht den Zorn besiegte. Sobald ein solcher Auftritt überstanden 
war, konnte sie von ihrem Geliebten Alles erreichen. An ihrer Gunst sonnte 
sich ihr Bruder, ein vollendeter Taugenichts, dem der Kurfürst zum Ent- 
setzen seiner Ritterschaft den Namen der ausgestorbenen Freiherren Heyer 
von Rosenfeld verlieh. Auch die altbefreundeten Rothschild's sahen ihren 
Weizen blühen, da der Sohn vom Vater nur die Habgier, nicht den Geiz 
geerbt hatte und trotz seiner Schätze immer freundlicher Aushilfe bedurfte, 
die sein Vermögensverwalter Finanzrath Deines bei dem Frankfurter 
Hause gewandt zu vermitteln wußte. 
*) Hänlein's Bericht, 1. März 1821. 
* F) So Hänlein, 21. Aug. 1824.
	        
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