Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Das Regiment der Reichenbach. 533 
Schwures zu erweisen suchten. Als er nun einst (1822) mit einem ver— 
trauten Diener auf einem öffentlichen Maskenball erschien, Beide etwa 
gleich gewachsen und mit gleichen Dominos bekleidet, da bot eine unbekannte 
Maske dem Diener ein Glas Grog an; der Mann nahm, trank und starb 
gleich darauf, offenbar vergiftet. Der Kurfürst, der den Prinzen auf seine 
Weise zärtlich liebte, verlangte sofort die strengste Untersuchung, und seine 
Polizei besaß die Mittel dazu: sie befahl einfach, daß Jeder, der auf 
jenem Balle zugegen gewesen, sich binnen achtundvierzig Stunden melden 
sollte, widrigenfalls werde er als des Mordes verdächtig in Untersuchungs- 
haft genommen..)) Trotzdem blieb der unheimliche Vorfall völlig dunkel. 
Das Volk ließ sich den Glauben nicht nehmen, daß der Streich von dem 
Kreise der Reichenbach ausgegangen sei. Und welche Aussichten für das 
Land, wenn dieser unglückliche Prinz dereinst zur Regierung gelangte, der 
thöricht erzogen, mißtrauisch und menschenscheu, in der Jugend schon 
Roheiten jeglicher Art, Ehebruch und Meuchelmord dicht vor Augen gesehen 
hatte! Nach der argwöhnischen Weise der Despoten hatte sich der Kurfürst 
schon oft bedroht geglaubt und einmal als er einen Vergiftungsversuch 
vermuthete, seine Leibköche in feierlicher Untersuchung dreiundzwanzig Eide 
schwören lassen; da erhielt er, seit 1823, eine Reihe räthselhafter Briefe, 
die ihm den Tod androhten falls er von der Reichenbach nicht lasse. Als- 
bald ward das ganze Land beunruhigt, eine Menge von Verhaftungen 
vorgenommen; eine „kurfürstliche, zur Entdeckung der gegen S. K. Hoheit 
ausgestoßenen Drohungen eingesetzte Commission“ versprach dem Entdecker 
des Frevels hohe Belohnungen. Zuletzt blieb der Verdacht auf dem allge- 
mein verhaßten Ober-Polizeidirektor Manger selbst haften. Man setzte 
ihn auf den Spangenberg, er gestand aber nur zu, daß er bei den Nach- 
forschungen seiner Pflicht nicht gerecht geworden sei, weil sich die letzten 
Spuren in unnahbare Regionen verloren hätten. Manger wurde zu 
fünfjähriger Festungsstrafe verurtheilt, die der Kurfürst in lebenslängliche 
Haft verwandelte; doch auch diese Sache blieb unaufgeklärt. 
Das treue Land fühlte sich wie verrathen und verkauft. Liberale 
Ideen fanden in Hessen vorerst nur vereinzelte Anhänger; eine Schrift 
des Anwalts Martin, die an die Berufung des Landtags erinnerte, 
verhallte ungehört. Aber das Gewissen des Volks forderte sein Recht. 
Ueberall wo die geliebte Kurfürstin sich zeigte wurde sie geehrt mit Hul- 
digungen, die ihre Spitze gegen die Reichenbach richteten; die Marburger 
widmeten „der naturliebenden Fürstin“ einen Obelisken auf der Augusten- 
ruh hoch über der Lahn. Zuweilen brach der verhaltene Grimm durch. 
Als sich nach dem Tode von Manger's Bruder herausstellte, der Ver- 
storbene habe als Betrüger und Selbstmörder geendet, da wendete sich die 
Casseler Bürgerschaft an die Gerichte und erzwang, daß der geschändete 
  
*) Bekanntmachung der kurfürstl. Ober-Polizeidirektion, Cassel 5. Febr. 1822.
	        
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