Anfänge der welfischen Macht. 535
und ihren trotzigsten Feind seit sie an die Süddeutschen überging. Den
Saliern wie den Staufern wurden die Vorlande des Harzes das Land
des Schicksals. Zweimal, zu Canossa und Legnano, warf der Trotz der
Sachsen das Kaiserthum vor dem Papstthum in den Staub. Seit das
Haus Este mit dem reichen Erbe der alten Welfen das sächsische Herzog—
thum vereinigte, diente der Name dieses neuen Welfengeschlechts diesseits
und jenseits der Alpen allen Feinden des Kaiserthums zum Feldgeschrei.
Vom Hochgebirge bis zu beiden Meeren reichte das Gebiet Heinrich's des
Löwen, die mächtigste Territorialstaatsbildung, welche unser Mittelalter
vor dem Staate des Deutschen Ordens sah, und lange schien es zweifel—
haft, ob der Kaiseraar auf der Pfalz zu Goslar das Feld behaupten
werde oder der Löwe des gewaltigen Slawenbesiegers auf dem Braun—
schweiger Burgplatze. Mit dem Sturze Heinrich's des Löwen ging auch
die alte glorreiche Herzogswürde der Liudolfinger und Billinger zu Grunde,
weil der Bestand dieses übermächtigen Stammesstaates sich mit dem An—
sehen der Reichsgewalt nicht vertrug. Das weiße Sachsenroß ward zer—
fleischt, und nachdem die Welfen noch ein Menschenalter hindurch wider—
strebt, einmal sogar auf kurze Zeit die Kaiserkrone an ihr Haus gebracht
hatten, unterwarf sich endlich des Löwen Enkel, Otto das Kind dem Spruche
von Kaiser und Reich und empfing ein kleines Bruchstück der Erbschaft
seines Ahnherrn, die Lande Braunschweig und Lüneburg als Lehen des
Reichs aus der Hand des Staufers Friedrich's II. zurück (1235).
Seitdem versank das gedemüthigte stolze Haus ebenso schnell, wie
späterhin die Ernestiner nach ihrem Sturze, in die Armseligkeit des deut-
schen Kleinlebens; von dem großen Ehrgeiz der Ahnen blieb nichts übrig
als ein harter Eigensinn, der sich in häßlichen Bruderzwist entlud und
die geretteten Trümmer alter Macht durch beharrlich wiederholte Thei-
lungen schwächte. Bald war kaum ein namhafter Ort mehr im Lande,
der nicht einem Flugsandsgebilde dieser nur im Wechsel beständigen dyna-
stischen Politik einmal zum Herrschersitze gedient hätte; in Münden und
Neustadt am Rübenberge, in Calenberg und Hertzberg, in Harburg, Gif-
horn, Dannenberg, in Celle und Hannover, in Wolfenbüttel, Bevern und
Braunschweig hausten nach und neben einander die ungezählten älteren,
mittleren und jüngeren Linien des Welfenhauses. Unter der zersplitterten
landesfürstlichen Gewalt hatte die ständische Libertät gute Tage, sie errang
sich durch die Lüneburger Friedenssate sogar das Recht des bewaffneten
Widerstandes. Da die reichen Städte Lüneburg, Göttingen, Braunschweig,
denen die Welfen einst als Nachbarn der städtelosen Askanier einen guten
Theil ihrer Macht verdankt hatten, durch Kriegsnoth und die Verände-
rung der Handelswege bald herabkamen, so blieb der Macht des Adels
nirgends mehr ein Gegengewicht; hält unser Herr, so halten wir auch,
sagte der Edelmann trotzig. Die Reformation fand das welfische Geschlecht
in vier Linien zertheilt, zwei hielten zur alten Kirche, zwei wendeten sich