Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

548 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
Frohnden, die Gewerbsprivilegien der Städte, die Patrimonialgerichte, das 
heimliche Gerichtsverfahren mitsammt der Folter, die man allerdings nicht 
mehr anzuwenden wagte, die Vermischung von Justiz und Verwaltung, 
die gestrenge Censurordnung vom Jahre 1705. Sogar in Hildesheim 
mußte die Ablösung der bäuerlichen Lasten sofort eingestellt werden, ob— 
gleich dies Land von der Krone Preußen durch förmlichen Vertrag an 
das Königreich Westphalen gelangt war und die fremdländische Gesetz— 
gebung hiermit zu recht bestand. Gegen Personen und wohlerworbene 
Rechte verfuhr die Restauration nach Landesbrauch rücksichtsvoll. Grobes 
Unrecht ward wohl nur einmal geübt: gegen den edlen Franzosen Charles 
von Villers, der in den napoleonischen Tagen muthig für die Rechte der 
deutschen Nation eingetreten war und nun, zur Entrüstung der gesammten 
gelehrten Welt, seine Göttinger Aemter aufgeben mußte. Die regierenden 
Klassen richteten sich wieder bequemlich ein im deutschen China, wie der 
Freiherr vom Stein das Welfenland zu nennen pflegte. 
Der Schwerpunkt der Verwaltung lag in den 155 Aemtern, den war— 
men Nestern der kleinen Bureaukratie; ein halbständisches Landrathsamt, 
wie in Altpreußen, war hier unmöglich, da der anspruchsvolle welfische 
Adel nur etwa 7 Procent des Bodens besaß. In diesen winzigen Bezirken 
sorgte der Oberamtmann (war er von Adel, so hieß er Oberhauptmann) 
patriarchalisch für Rechtspflege und Verwaltung; oft war er zugleich Pächter 
der königlichen Domänen, so daß sich sein Amtseinkommen mitsammt den 
zahlreichen wundersamen Naturallieferungen auf 10,000 Thlr. und mehr 
belaufen konnte. Von der Hauptstadt aus störte man die Amtsleute selten; 
ein landläufiges Sprichwort sagte, es sei zwar sehr schwer in ein hanno- 
versches Amt hineinzugelangen, aber unmöglich daraus entfernt zu werden. 
Gleichwohl war Ueberfluß an trefflichen Beamten; so gescheidte Männer 
wie der Landdrost v. Bar, der Schüler Justus Möser's in Osnabrück, oder 
F. E. v. Bülow und Jacobi, die Förderer des landwirthschaftlichen Ver- 
eins in Celle, bewährten auch ohne Aufsicht die alte Geschäftstüchtigkeit 
der Niedersachsen. In Celle, dem hannoverschen Wetzlar, blühte eine schwer 
gelehrte, aber abstrakte, dem politischen Leben entfremdete Rechtskunde; 
niemals trat dies welfische Oberappellationsgericht, wie das kurhessische, 
den Uebergriffen der Polizeigewalt entgegen. 
Auch die Georgia Augusta hielt sich den politischen Kämpfen fern. Sie 
lebte ihrem weltbürgerlichen wissenschaftlichen Ruhme; für die praktischen 
Bedürfnisse des Landes leistete sie so wenig, daß man fast alle höheren 
Schulstellen mit auswärtigen Kräften besetzen mußte. Obwohl sie das 
Recht der Berufung nicht besaß, befand sie sich sehr glücklich unter der 
väterlichen Obhut des vornehmen, rücksichtsvollen Beamtenthums; denn 
der Todfeind der Gelehrtenrepubliken, die bureaukratische Schablone war 
hierzulande unbekannt. In den ersten hundertundzehn Jahren ihres Be- 
standes leiteten — mit der kurzen Unterbrechung der westphälischen Zwischen-
	        
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