Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Die Georgia Augusta. 549 
herrschaft — nach einander nur fünf Männer die Geschäfte der Univer— 
sität: zuerst ihr Stifter Münchhausen, dann Brandes Vater und Sohn 
und die beiden Brüder Hoppenstedt, alle fünf ausgezeichnet durch hohe 
Bildung, Menschenkenntniß, Feinheit. So vererbte sich eine akademische 
Familientradition von Geschlecht zu Geschlecht; mit einem Zartgefühle, das 
sich in einem großen Staate von selbst verboten hätte, wurde die Empfind- 
lichkeit der Gelehrten geschont. Als der große Blumenbach auf seine alten 
Tage die lästige Gewohnheit annahm, alle Amtsschreiben, die er wegen 
der Naturwissenschaftlichen Sammlungen erhielt, ungelesen in den Papier- 
korb zu werfen, da wußte Hoppenstedt jede Ombrage zu vermeiden; er 
ließ fortan die Ministerialschreiben in zwei Abschriften nach Göttingen sen- 
den, die eine verschwand in Blumenbach's Papierkorb, die andere gelangte 
an den zweiten Direktor der Sammlungen. War ein Lehrstuhl erledigt, 
so wurden zunächst bei Heyne, Heeren oder anderen vertrauten Professoren 
Erkundigungen eingezogen, dann alle gelehrten Stachelschweine, die etwa 
Unfrieden erregen konnten, sorgfältig aus der Liste entfernt und schließ- 
lich, ohne Rücksicht auf die Kosten, fast immer ein tüchtiger und fried- 
fertiger Mann berufen. Philosophie und schöne Literatur wollten in der 
kühlen Göttinger Luft freilich nicht gedeihen, aber in jeder Facultät wirkten 
ausgezeichnete Fachmänner, in der juristischen neben dem alten Hugo der 
beliebteste aller Rechtslehrer, K. F. Eichhorn, und mit Recht durfte Gauß 
rühmen, für die Phrase sei hier nie ein Boden gewesen. Niemals früher 
hatte die Georgia Augusta sich eines so zahlreichen Besuchs erfreut; der 
sprichwörtliche Stolz ihrer Hofräthe war um so begreiflicher, da das Welfen- 
land keine andere Stätte höherer Bildung besaß. 
Der Hauptstadt fehlten alle die Kunstwerke und Sammlungen, mit 
denen die deutschen Höfe ihre Residenzen zu schmücken pflegten; der Fremde 
fand hier außer dem schönen alten Rathhause nichts Merkwürdiges zu 
sehen als etwa die Isabellen des Marstalls. Auch in den anderen Städten 
war wenig Leben. Der gewaltige Verkehr, der sich einst in althansischer 
Zeit um die Ilmenaubrücke zu Lüneburg bewegt, hatte längst andere Wege 
eingeschlagen; die feierliche Pracht der Kirchen und die kunstvollen Holz- 
schnitzereien an den Bürgerhäusern Hildesheims erzählten auch nur von 
längst verschwundener Größe. Das heitere fränkische Völkchen droben im 
Harz dünkte sich zwar, im Bewußtsein seiner bergmännischen Kunstfertig- 
keit, weit gewitzter als die schwerfälligen Niedersachsen der Ebene, aber der 
wirthschaftliche Unternehmungstrieb fehlte auch dort; die königliche „Herr- 
schaft“ besaß die Forsten wie die Gruben, sie mußte in jeder Noth durch 
Brotkorn und andere Hilfe ihren Bergknappen beispringen. Noch sorg- 
loser als unter der väterlichen Berghauptmannschaft zu Clausthal lebte 
sich's in dem Paradiese der deutschen Kleinstaaterei, dem Communionharze, 
der einige Bergwerke und Ortschaften mit etwa 700 Einwohnern umfaßte 
und ein Jahr ums andere abwechselnd von Hannover oder von Braun-
	        
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