Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

570 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
nach Belieben Gäste mitbringen, die sich, ganz wie auf den polnischen 
Reichstagen, mitten unter den Ständen umhertrieben; man erkannte sie 
ja leicht an ihrer schüchternen Haltung. Auch die gewaltigen Landtags— 
Gelage am Abend erinnerten an die sarmatische Adelsherrlichkeit. 
Die ständischen Aemter der Landräthe und Landmarschälle waren dem 
alteingesessenen Adel vorbehalten; denn auf die Kunst des Herrschens ver— 
stand sich diese Aristokratie aus dem Grunde. Viele ihrer Söhne erlangten 
im Staatsdienste Dänemarks, England-Hannovers, Württembergs hohe 
Aemter. Namentlich in Oesterreich war der mecklenburgische Adel, von 
Stralendorff an bis herab auf Graf Lützow, fast jederzeit durch einfluß— 
reiche Staatsmänner vertreten. So gewann er Weltkenntniß und mäch— 
tige Verbindungen. Klüger als der Adel Kursachsens verlangte er nicht 
geradezu die Ahnenprobe für die Landstandschaft, was sich auf die Dauer 
doch nicht halten ließ; er begnügte sich mit dem Erreichbaren und setzte 
durch, daß die neuadlichen und bürgerlichen Vasallen in der Ausübung 
ihrer ständischen Rechte wesentlich beschränkt wurden. Seit dem Anfang 
des achtzehnten Jahrhunderts stellte der alte Adel die völlig rechtswidrige 
Behauptung auf, daß nur die alteingesessenen Geschlechter, die schon im 
Jahre 1572 der Landstandschaft sich erfreut, einen Anspruch hätten auf 
die 340 Damenpfründen der drei reichen Landesklöster; wolle der neu ein— 
gewanderte ausländische Adel daran theilnehmen, so müsse er sich erst gegen 
hohe Gebühren in den alten Adel aufnehmen lassen. Und wirklich ward 
bald nach dem Erbvergleiche dieser Stand im Stande förmlich begründet. 
Fortwährend bekämpft von den non receptis vertheilte der alte und reci- 
pirte Adel die Klosterpfründen unter sich und beherrschte die Landstände 
so vollständig, daß die langsam anwachsende Minderzahl der bürgerlichen 
Rittergutsbesitzer noch gar nicht dawider aufkommen konnte. 
Auf den Landtagen der zwanziger Jahre war der Kittendorfer Oertzen 
der gefeiertste Redner, „ein geborener, erkorener und geschworener Patriot"“, 
wie es dem echten altmecklenburgischen Landrathe geziemte; neben ihm 
der Sukower Blücher, Provisor des Landesklosters Dobbertin, und der 
greise Heißsporn Adolf Flotow, der schon im alten Jahrhundert durch 
seinen altadlichen Standeseifer den Zorn des Herzogs Friedrich Franz 
erregt hatte. Was die Versammlung auf den Rath ihrer Führer beschloß, 
wurde sodann von dem gewiegten Rostocker Juristen, Landsyndicus Drewes 
schriftlich ausgearbeitet, in einem Kanzleistile, dessen feierliche Umständlich- 
leit hinter den Periodenbauten der kursächsischen Stände kaum zurückblieb; 
und der wohlwollende Minister Plessen, der frühere Bundestagsgesandte, 
fand es selten rathsam den Beschlüssen des Landtags zu widersprechen. 
Es waren durchweg achtungswerthe Männer, freimüthig nach Landes- 
brauch, sehr thätig in der ständischen Selbstverwaltung, wohlbewandert in 
dem Labyrinthe des alten Landesrechts, aber einc durchgreifende Aende- 
rung hätte Keiner von ihnen auch nur für denkbar gehalten. Die Stände
	        
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