Mecklenburgische Adelsherrschaft. 573
hatte; ohne die Ideale seiner Jugend zu verleugnen, ergab er sich doch mit
einem seufzenden „Jeja“ in Verhältnisse, die sich so leicht nicht ändern ließen.
Was vermochte diese bürgerliche Geduld gegen den dreist zugreifenden
Muth der Junker, die noch immer nicht anders dachten wie jener alte
Bülow, dessen Grab in Doberan die Iunschrift trug: „ik bin en mecklen-
borgisch Edelmann, wat geit di Düwel min Supen an?“ Rostock, die stolze
Greifenstadt, die noch eigene Münzen schlug und das Recht der Begna-
digung übte, ging auf den Landtagen meist mit dem Adel Hand in Hand,
weil sie also ihre eigenen Privilegien sicherte. Auch der einflußreiche,
ungemein tüchtige Advocatenstand fand seine Rechnung bei dem Privilegien-
wust dieses Streitländchens. Denn ganz wie einst in Polen galt hier
das Sprichwort, ein Edelmann ohne Proceß sei wie ein Hund ohne
Schwanz. Ohne einen Rechtsbeistand ließ sich kaum das kleinste Geschäft
abschließen, und wie viele Sporteln fielen dann noch ab, wenn der Advocat
zugleich die Patrimonialgerichtsbarkeit seiner adlichen Clienten besorgte.
Im Jahre 1850 lebten in Mecklenburg-Schwerin 296 Advocaten; je 1700
Menschen etwa, die Säuglinge mit eingeschlossen, mußten einen Rechts-
anwalt auskömmlich ernähren — eine Ziffer, die auch nur im Königreich
Sachsen ihresgleichen fand.
Mit den wirthschaftlichen Kräften des Großgrundbesitzes konnte sich
das Bürgerthum auch nicht messen. In den Landstädten handtirte der
Handwerker, durch Zunft= und Bannrechte wohl geschützt, gemächlich nach
der Bäter Weise. Der Fürstenhof, das Schwarze Kloster und die anderen
Prachtbauten des alten Wismar lagen verwahrlost in verödeten Gassen,
und obwohl Rostock die größte Handelsflotte der Ostsee besaß, so blieb
sein deutsches Handelsgebiet doch nur klein, da die Zölle und die sprich-
wörtliche Erbärmlichkeit der Straßen den Verkehr mit dem Binnenlande
erschwerten. Ein mecklenburgischer Weg war nie schrecklicher, als wenn
ihn die Nachbarn auf Befehl der ständischen Behörden soeben „gebetert"
hatten. Die erste Steinstraße, ein Stück der großen Hamburg-Berliner
Chaussee, wurde erst 1826 durch eine englische Gesellschaft erbaut. Also
von ihrem Hinterlande fast abgeschnitten fühlten sich die Rostocker Rheder
ganz als hanseatische Weltbürger und ließen viele ihre Schiffe, unter der
Führung der wetterfesten Capitäne aus dem Fischlande, jahrelang zwischen
den Häfen Ostindiens oder Chinas segeln. Die scemännische Tüchtigkeit
des Küstenvolks bereicherte wohl einzelne große Firmen, dem Verkehre des
Landes brachte sie wenig Vortheil.
Nicht einmal einer überlegenen Bildung durfte das Bürgerthum
sich rühmen. Die bürgerlichen Ritter wetteiferten meist mit dem Adel
in plumpem Uebermuth; die alten, die sich gern als „Fetthämmel“ in
Rostock zur Ruhe setzten, blieben jedem neuen Gedanken unzugänglich, nur
einzelne der jüngeren, die noch nichts galten, waren von den liberalen
Ideen erfüllt. Die Landesuniversität Rostock hatte von jeher unter den