576 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
seebecken umgaben, hatte sich Mecklenburg allein, noch zäher sogar als
Rußlands baltische Provinzen, sein Adelsregiment ganz unverändert er—
halten. Hier galt es erst den Grund zu legen für ein modernes Gesell—
schaftsrecht; für eine Volksvertretung fehlten noch alle Vorbedingungen,
und für Preußens deutsche Handelspolitik, die auf ein geordnetes Beamten—
thum zählen mußte, kam dies Land noch gar nicht in Betracht. —
Der Adel allein war es nicht, der die seltsame Unbeweglichkeit der
norddeutschen Kleinstaaten verschuldete. In Oldenburg, dem Lande der
Stedinger Ketzer, wo die streitbaren Bauern den Adel schon vor Jahrhun—
derten fast vernichtet hatten und auf freien Höfen hinter ihren Eichen-
kämpen saßen, zeigte sich die nämliche Erstarrung. Dies unnatürlichste
aller deutschen Staatsgebilde war allerdings nicht leicht zu regieren. Das
neue Großherzogthum umfaßte außer den hartprotestantischen Bauern-
ländern an der Hunte und Jade, die hundert Jahre lang unter dänischer
Herrschaft gestanden hatten, noch ein Stück vom katholischen Münsterlande,
dazu die Fürstenthümer Lübeck an der Ostsee und Birkenfeld an der Nahe.
Ein straffes bureaukratisches Regiment schien der wohlmeinenden Dynastie
allein fähig, diese Friesen, Westphalen, Holsten und Rheinländer unter
einem Herrscherhute zusammenzuhalten. Der großherzogliche Amtmann
war allmächtig; die neugewonnene Herrschaft Jever verlor ihre uralte
Gemeindefreiheit, welche selbst die russischen Landesherren nicht angetastet
hatten, und die verheißene Verfassung blieb aus. In der deutschen Politik
machte sich Oldenburg nur bemerklich durch seine kleinlichen handels-
politischen Kämpfe wider die Hansestadt Bremen.
An den widerspruchsvollen, unhaltbaren Zuständen der drei Hansestädte
ließ sich der ganze Jammer des deutschen Föderalismus erkennen. Die
drei Städte hatten sich einst, als der große Hansebund zerfiel, verpflichtet
den alten Namen und die alte Verbindung aufrechtzuerhalten, sie hatten
während des Befreiungskrieges durch gemeinsame rührige diplomatische
Arbeit ihre Wiederherstellung durchgesetzt und hielten auch im Frieden
freundnachbarlich zusammen. Sie behielten ihre alte Rangordnung bei, so
daß Lübeck obenan, Hamburg zuletzt stand, sie hüteten getreulich die letzten
Besitzthümer, die noch im Auslande von der althansischen Herrlichkeit übrig
waren, den Londoner Stahlhof und das Oestersche Haus in Antwerpen;
sie suchten häufig durch gemeinsame Consulate und Handelsverträge ihre
Interessen zu wahren und errichteten in Lübeck ein Oberappellationsgericht,
das etwas langsam, aber sehr tüchtig arbeitete. Wohl war es ein Unheil
fortwirkend durch Jahrhunderte, daß einst, wie Dahlmann klagte, Schleswig-
holsteins beide Augen sich geschlossen, Hamburg und Lübeck sich ihrer
transalbingischen Heimath entfremdet und auch Bremen, gepeinigt durch
die Willkür seiner Erzbischöfe, den politischen Verband mit dem Hinter-
lande zerrissen hatte. Aber so lange Schleswigholstein dänisch, Hannover
englisch war, konnte die Wiedervereinigung keinen Segen bringen.