Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

590 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
theils in der Hand der königlichen Amtleute, Landdrosten, Landvögte und 
Hardesvögte. Die Beamten waren hoch besoldet, fast durchweg sehr gebildet 
und in den Formen der guten Gesellschaft heimisch, aber auch meist wenig 
geneigt sich übermäßig anzustrengen. Mannigfache Privilegien sorgten für 
die Behaglichkeit der höheren Stände; der Kieler Professor zahlte weder 
Steuern noch Zölle, und auch der wohlhabende Student konnte, da er 
doch unfehlbar mit irgend einem Amtmann oder Landvogt vervettert war, 
mit Sicherheit auf die Ertheilung eines Armuthszeugnisses rechnen. Im 
Privatrechte bestand noch der uralte Brauch des Einlagers: mancher 
Schuldner blieb jahrelang in freiwilliger Haft, lediglich durch sein Ehren— 
wort gebunden. Der Regel nach wurden alle Rechnungen des vergangenen 
Jahres im Januar auf dem Kieler Umschlage ausgeglichen; da schleppte 
man Massen von Silbergeld in großen Karren durch die Straßen. Die 
Holsten duldeten keine Milderung des harten Schuldgesetzes, der Kieler 
Umschlagsstrenge; es war ihr Stolz, daß nirgendwo in der Welt Mannes- 
wort so hoch gehalten werde. 
Unter diesen altväterischen Verhältnissen konnte die wirthschaftliche 
Kraft des Landes sich nur wenig entwickeln. Der Günstling zweier Meere, 
wie Dahlmann sein Transalbingien nannte, zog aus seiner glücklichen 
Lage geringen Vortheil, da der freie Verkehr mit Dänemark keinen Ersatz 
bot für die Abtrennung von dem großen deutschen Hinterlande. Die Ein- 
tagsblüthe der beiden Plätze Husum und Tönningen, die während der Con- 
tinentalsperre einen einträglichen Schmuggelhandel mit Helgoland getrieben 
hatten, verschwand gleich nach dem Frieden. Der Eiderkanal, der beide 
Meere verband, trug nur kleine Schiffe. Der schönste Hafen der Ostsee, 
Kiel, zählte kaum 12,000 Einwohner, und selbst Altona gelangte trotz der 
Sorgsamkeit seines trefflichen Oberpräsidenten, des Grafen Blücher, nicht 
zu selbständiger Handelsgröße; die Stadt zehrte doch nur von den Brocken, 
die von Hamburgs reichem Tische fielen. Erstaunlich, wie das vormals 
so kunstgeübte Handwerk der Herzogthümer im Schlendrian des Zunft- 
wesens heruntergekommen war. Die wohlhabenden Landwirthe fragten 
wenig nach alledem; sie waren reich genug um sich ihren Hausbedarf 
trotz der hohen Zölle, aus Hamburg zu verschreiben. Noth litt hier doch 
Niemand. In Ditmarschen geschah es wohl, daß der Almosenempfänger 
dem besuchenden Armenvogt eine Flasche Bordeaux vorsetzte; das gehörte 
zum Leben. So lebte das reiche Ackerbauland still gemüthlich dahin, recht 
nach dem Spruche des alten Dithmarschen Neocorus: nik flegen sündern 
stahn, dat is in Gott gedan. In ähnlichem Zustande hatten sich acht- 
hundert Jahre zuvor, ehe der normannische Eroberer sie schüttelte, die 
nächsten Blutsverwandten der Holsten, die britischen Angelsachsen befunden 
— ein tapferes, treues, ehrenfestes Volk, reich im Gemüthe und zu allem 
Großen fähig, aber befangen in sattem Behagen, ohne Ehrgeiz, noch ohne 
Ahnung von seinem historischen Berufe.
	        
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